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Mit dem Wunschkonzert durch die Nacht2 min read

16. September 2019 2 min read

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Mit dem Wunschkonzert durch die Nacht2 min read

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An der Pforte Schiffbau des Schauspielhaus Zürich fand letzten Mittwoch die Premiere des wortlosen Theaters Wunschkonzert statt.  Ein Erfahrungsbericht;

Vor dem Einlass erklärt die Regisseurin Yana Ross, dass es bei diesem Stück keine Sitzplätze gibt und man sich frei um die Bühne bewegen kann. Also interaktiv, denke ich mir, ohne einen Schimmer davon zu haben, wie sich das dann anfühlt.

Im Inneren der Schiffbau-Halle ist ein kleines Apartment erleuchtet. Eine Dame mittleren Alters steht versteinert in der Küche. Es scheint Abend zu sein. Ihre Wohnung besitzt keine Wände und ist von allen Seiten einsehbar. Die Szene wirkt unheimlich, denn wir Zuschauer verwandeln uns zu Voyeuren, die von nun an jede noch so kleine Bewegung von ihr verfolgen werden. Wir werden zu Mitwissern, wir werden zu Opfer und Tätern, ich weiss noch nicht, ob mir diese Dazugehörigkeit gefällt.

Wunschkonzert spielt auf der gesellschaftlichen Hinterbühne. Nach dem Soziologen Ervin Goffman ist es der Raum, in dem wir uns unbeobachtet fühlen und keine Rolle spielen müssen. Auf der Hinterbühne können wir unseren ganz eigenen Tics und Zwängen nachgehen. Frei von Unbehagen darf man so laut furzen und so wild tanzen, wie man will. Oder auch einfach drauf losweinen.

Während die von Danuta Stenka gespielte Frau Rasch ihrem ritualisierten Feierabendprogramm nachgeht, beginnen die ersten Zuschauer sich zu bewegen. Mit der wachsenden Vertrautheit des Stücks senkt sich auch das Unbehagen, etwas zu sehen, was nicht für die eigenen Augen bestimmt ist. Ich muss lachen, wenn Frau Rasch vor einem transparenten Spiegel ihre Pickel ausdrückt, habe Freude, wenn sie zu Here Comes The Sun genüsslich ihr Knäckebrot mit Marmelade verspeist und leide mit, wenn sie mit einer Zigarette in der Hand und mit Leonard Cohen I‘m your Man im Hintergrund in eine tiefe Trauer versinkt. Wer aufmerksam beobachtet, dem wird klar, dass Frau Rasch zu kämpfen hat. Nicht nur mit ihrer Zwangsstörung, die im Verlauf des Stückes immer stärker werden, sondern auch mit ihrem Leben. Dennoch wirkt das Stück nicht schwer oder erdrückend.

Im Hintergrund beginnt die amerikanische TV-Show Keeping Up With The Kardashians zu laufen. Während sich bei Kim alles um ihre Heirat mit Kanye in Paris dreht, schnüffelt Frau Rasch an Ihrem ausgezogenen Shirt. Geht das noch? Auch wir Zuschauer werden immer wieder auf unsere Rollen zurückgeworfen. Etwa als Frau Rasch anfängt die Lebenssimulationsspiel Sims zu spielen und wir uns auf einmal in einer Beobachtung zweiter Ordnung befinden. Well played, Frau Rasch.

Nach dem Stück wieder bei mir zuhause angekommen fühle ich mich seltsam beobachtet und verfolge meine Abendroutine mit ungewohnter Genauigkeit. Habe ich das Theater wirklich verlassen? Offenbar ist mehr an mir kleben geblieben, als mir lieb ist. Ich schlaf mal drüber!

 

Bild: © Ketty Bertossi

 

 

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