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Blue Velvet «isn’t it a strange world?» – eine Filmauseinandersetzung3 min read

29. Mai 2020 3 min read

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Blue Velvet «isn’t it a strange world?» – eine Filmauseinandersetzung3 min read

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Ich habe lange überlegt, ob dies eine Filmkritik oder eine Auseinandersetzung mit den dabei ausgelösten Gefühlen werden soll. Ich glaube es ist beides.

Warum schreibe ich über einen Film, welcher vor 34 Jahren gedreht wurde? Weil er mich tief erschüttert hat und einer dieser wenigen Filme ist, welcher mich fast eine Woche lang beschäftigt hatte. Ich begann den Film in der reifen Nacht (etwa um zwei) zu schauen, hatte Lust, einen Thriller zu sehen. Doch dieser Film war mehr als nur beängstigend.

Blue Velvet spielt im amerikanischen Lumberton, North Carolina. Die ersten Szenen generieren dieses gekünstelte und zu perfekt ausgeleuchtete Bild dieser Wiese-vor-der-Hütte-Nachbarschafts-Stadt. Aber schon bald bekommt die Idylle einen Bruch. Der Protagonist Jeffrey Beaumont findet ein abgetrenntes Ohr. Als er den abgetrennte Fund dem Polizeikommissar übergibt, lernt er dessen Tochter Sandy kennen. Diese erzählt ihm von einer Lounge-Sängerin namens Dorothy Vallens, welche mit einem Mord und vielleicht diesem Ohr in Verbindung gebracht wird. Die beiden beschliessen in ihr Haus einzudringen. Jeffrey will mehr erfahren, er ist neugierig und möchte nun etwas in seinem Leben erleben.
Als es Jeffrey in ihre Wohnung schafft, wird er versteckt Zeuge eines gewaltvoll-erotischen Rituals zwischen Dorothy und Frank Booth. Frank ist ein drogenabhängiger, aggressiver und psychisch Gestörter, welcher Dorothys jungen Sohn und Mann kidnappte. Frank ist dominant, explosiv, aggressiv und doch hat er immer wieder durchgehend diese bizarre, kurze und abrupte Wechsel, wo er sich wie ein Kind und rezessiv verhält. Jeffrey ist überfordert, erschüttert von dieser Missbrauchsszene. Er hat alles von seinem Versteck aus beobachtet. Er, der Naive, Junge und Brave, welcher mit seiner Mutter und Grossmutter aufwächst. Dennoch beginnt eine lustgetriebene Beziehung mit sadomasochistisch-annehmenden Zügen zwischen Dorothy und Jeffrey. Er entwickelt eine Empathie für sie, möchte ihr helfen ihren Sohn zurück zu bringen. Als Frank dann Jeffrey zufälligerweise vor Dorothys Haustüre über den Weg läuft, zwingt er ihn auf eine Fahrt mit ihm und seinen Männern. Der Junge wird zwar in eine fette Prügelei verwickelt, aber er erhält schlussendlich – was viel wichtiger ist – einen tiefen Einblick in Franks Leben.

David Lynch spielt mit dem Publikum. Er spielt mit diesem Paradoxon der Erotik, welche sich mit Gewalt vermischt. Man fühlt sich als Zuschauer*in etwas blossgestellt und so falsch voyeuristisch. Was macht Gewalt und Lust zusammen? Sind sie so weit voneinander entfernt?
Er entfaltet eine gewaltgeprägte Parallelwelt, welche nicht alle zu sehen bekommen, aber eigentlich immer da ist. Er schafft unglaublich erdrückende, unangenehme und aufregende Szenen. Ich musste ab und zu kurz weggucken. Und doch gibt es immer wieder kleine Farbtupfer, erhellende Szenen, welche den Glauben an die Menschheit nicht schwinden lassen. Es sind die kleinen Dinge, wie der Zusammenhalt oder das Helfen und Einmischen für eine unbekannte Person. Eigentlich ganz nach dem Prinzip der Zivilcourage.

Ich war lange verwirrt und wusste noch nicht, wohin ich dieses plötzlich aufgewühlte absetzen soll. Ich war bedrückt, fühlte mich mitbeteiligt. Es war düster in meinem Kopf für einige Tage. Lnych ist ein bisschen unheimlich mysteriös, er kann sich unbemerkt in den Kopf des Zuschauers und der Zuschauerin einschleichen und eine Zwiespältigkeit kreieren. Im Film kann man gut seine verschiedenen Inspirationsquellen wie­der­er­ken­nen. Vor allem begegnet man den Einflüssen von Freuds Theorien und Surrealisten wie Buñuel und Dalí.

Der Film Blue Velvet fordert viel von seinem Publikum. Dennoch muss der Kultfilm (wieder) gesehen werden. Er regt an, rüttelt durch und kurbelt das Hinterfragen und kritische Denken wieder an. Man muss sich diesen Gefühlen etwas hingeben und eintauchen lassen. Im Kern ist es eigentlich eine schöne Geschichte: Die Geschichte eines Menschen, welcher sich einer Gewalt und Angst aussetzt, dagegen auflehnt und hilft. Davon kann man sich eine Scheibe abschneiden. Gewalt ist allgegenwärtig und immer noch ein grosses Problem (vor allem an Frauen). Aber diese schmälert sich, wenn man sich als Gesellschaft diesem Tabuthema annimmt und nicht akzeptiert. Auf die Zivilcourage!

 

Bild: © 1986 – MGM

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