Film Kultur Magazin

Zu Ehren der Geschichten – Preisverleihung am Gässli Film Festival6 min read

30. August 2020 5 min read

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Zu Ehren der Geschichten – Preisverleihung am Gässli Film Festival6 min read

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Angefangen hat der gestrige Tag mit dem out-of-competition Kurzfilm „Der schönste Busen der Welt“, bei dem ein Mann mit einer Frau zusammenknallt und so ihre Brüste bekommt. Genauso behandeln auch zwei der sieben Gewinnerfilme Genderfragen am Gässli Filmfestival in Basel. Und ja, es gibt auch solche mit viel Blut und Tränengas. Wir haben mit den Auserkorenen gesprochen. 

Die Liebe zum Detail drückt bis ganz am Schluss durch.“ 

Dorian Massari, Regie „Shit Happens“

Für fünf Freunde, die sich seit Primarzeiten kennen, wurde die Leidenschaft zum Filmemachen am Gässli Film Festival gestern gekürt : der Film „Shit Happens“ hat mit seiner Qualität, Kameraführung, seiner universellen Thematik, welche auf die Schweiz angewendet wurde und dem Humor und seiner Sprachwahl „schweizerdeutsch“ die Jungjury überzeugt. Die Entscheidung fiel ihnen nicht leicht, erzählt uns Lorena Funk, die Betreuerin der Jungjury im Interview. Doch der Gewinnerfilm sei universeller und spreche mehr Menschen an, im Gegensatz zu „Kartonzelle“, welcher spezifisch für eine Nische zugespitzt ist. Weil diese Entscheidung aber sehr knapp ausfiel, wurde an der Preiskrönung der Film „Kartonzelle“ von Tristan Hell mit einem „special mention“ von der Jungjury gewürdigt.

„Wenn man das macht, was man gerne macht und sich dabei Mühe gibt, dann bekommt man auch die Anerkennung. Ich finde es schön, dass wir dafür anerkannt wurden.“ – Nicolas Studer 

Nicolas Studer, Co-Director, mitwirkend in der Drehbucharbeit und Schauspieler im Film, erzählt uns, dass er und seine Freunde Filme machen, weil es ihnen Spass macht, Ideen zu entwickeln und sie umzusetzen. Als leidenschaftliche Filmemacher haben sie auch eine Liebe zum Detail entwickelt. Besonders am Herzen liegt ihnen die Reaktion des Publikums, was auch besonders schön war am Gässli, so Dorian Massari, Regiesseur von „Shit Happens“.

Eine Silvesternacht durch Berlin
Dominic Stämpfli vom Musiklabel Radicalis holte stellvertretend für Moris Freiburghaus, Regisseur des Musikvideos „Cut it Out“, den Preis für die Kategorie „Best Music Video“ ab. Der komplette Dreh des Musikvideos fand an einer unvorhersehbaren Silvesternacht mit Sängerin Anna Erhard statt. Auf die Frage, ob Musik von einem Musikvideo begleitet sein muss, antwortet Dominc: „Bewegte Bilder berühren Menschen mehr. Ein Musikvideo gibt der Musik eine weitere Ebene und kann zum nachdenken anregen.“

Filme machen, die zum Umdenken anregen: Gewinnerin Alejandra Jenni des U31-Kurzfilm-Wettbewerbs

Alejandra Jenni, Regie „Wert“

Der Film „Wert“ regte beim Publikum und der Jury zu Diskussionen und zum Dialog an. Menstruation ist noch immer ein Tabuthema. Der Debut-Film der 27-jährigen Alejandra Jenni zeigt zwei unterschiedliche Umgänge mit diesem Thema auf, zeigt den Dialog zwischen den Geschlechtern und möchte, so auch Carmen Walker, welche den Schnitt gemacht hat, eine Offenheit im Umgang mit der Menstruation erreichen.

 „Man muss anfangen, offen über Menstruation zu sprechen.“

Alejandra erzählt uns, dass der Preis für sie eine Ermutigung sei. Durch das Filmemachen könne man zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen, zu einer Offenheit im Umgang mit gewissen Themen, die noch tabuisiert sind oder versteckt bleiben. Sie hofft, dass der Preis einen Impuls gibt und dass der Film noch mehr Zuschauende erreicht. Im Theater, wo sie zusätzlich tätig ist, vermisst sie die Reichweite, die sie mit dem Medium Film erreichen kann. In ihrem künstlerischen Schaffen ist es ihr allgemein ein Anliegen, sozialkritisch zu sein und gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen.

Mit “Wert” hat Alejandra gleichzeitig einen Workshop für Schulklassen und Jugendliche ab 14 Jahren entwickelt, bei welchem der Film Teil des Workshops ist und so mit der Aufklärung in jungen Jahren angefangen werden kann. Sie erhofft sich durch diese pädagogische Übersetzung ihres Filmes nachhaltig für dieses Thema zu sensibilisieren.

Animation im Eileiter

Manuela Leuenberger, Regie „Lachsmänner“

Veronica L. Montaño, Manuela Leuenberger und Joel Hofmann haben mit „Lachsmänner“ den Preis im Schweizer Kurzfilm-Wettbewerb gewonnen. Zweieinhalb Jahre haben sie an ihrem sechs-minütigen Animationsfilm gearbeitet. Trotzdem sei es schwierig, die Erfolgschancen abzuschätzen, besonders wenn Spiel- und Animationsfilme in der gleichen Arena antreten, sagt Manuela Leuenberger. Der Film zeigt die testosterongeladenen Lachsmänner auf ihrem Rennen zu den fruchtbarkeitsbalzenden Lachsfrauen.

Innovative Storytelling 

Dmitri Voloshin, der Gewinner im Bereich Innovative Stoytelling konnte nicht an der Preisverleihung teilnehmen. Dafür erlaubt uns die Jury dieser Kategorie einen Blick in ihren Selektionsprozess. Manuela Weiss, XR Produzentin und selbständige Kuratorin, Nathan Ornick von boostplus.ch und Fabian Degen, welcher  auch in der Kuration tätig ist, sind von ihrem jeweiligen Wohnzimmer aus in die Virtual-Reality-Geschichten eingetaucht und haben sich anschliessend per Zoom die Köpfe heiss geredet. Doch wie kann man eine Geschichte bewerten, bei der man zugleich in 100 Richtungen schauen kann? „Es geht nicht darum, ein neues Format zu machen, nur weil es neu ist, sondern dieses zu nutzen, um eine Geschichte zu erzählen, die man sonst nicht erzählen könnte.“, sagt Nathan Ornick. Im Gewinnerfilm „Wings” zum Beispiel, kann man durch die Oculus-Rift-Brille nach Lust und Laune eine Perspektive einnehmen. „Da ich den Film vorher in 2D gesehen habe, kannte ich die Geschichte schon und habe in der Virtual-Reality-Version bewusst in die ‚falsche‘ Richtung geschaut.“, sagt Fabian Degen. „Ich bin in die Wand gelaufen, habe die Grenzen ausgelotet und wurde dafür belohnt. Da freut sich mein Herz!“ „VR ist eine andere und unkonventionelle Art des Filmemachens“, meint zudem Manuela Weiss.

Hongkong vor Corona
Kanas Liu, die Gewinnerin des internationalen Kurzfilmwettbewerbs war ebenfalls abwesend. Ihr Film “Comrades” begleitet Protestierende in Hongkong und zeigt, wie sie Klarsichtfolie, Regenschirme, Pappschilder und Wurfgeschosse gegen Tränengas, Starklicht und Munition anwenden. 

Blutig aber köstlich

David Oesch, Regie „Cru“

Der Film “Cru”, vom 28-jährigen Filmstudent David Oesch hat den SRG-Regiepreis gewonnen. Im Film geht es um eine junge Frau, die in einem Fünf-Stern-Restaurant erfährt, wie unglaublich brutal und erbarmungslos die Welt sein kann. Sie hat mit asozialen Arbeitskollegen zu tun und einer brutalen Chefin, die alles von ihr verlangt. Nicht nur Fleissarbeit und Talent wird in Küchen gefragt, sondern auch viel Blut. Der Film ist etwas nihlistisch so David, doch der Humor und die extremen Gefühle seien für ihn auch wichtig.

„Der Film lässt den Puls fest schlagen und einen unwohl zurück, aber gleichzeitig sagt er auch etwas über unsere Gesellschaft aus.“

Mit dem Film wolle er die harte Arbeit zeigen, die talentierte Menschen leisten. Eine Parallele könne er als Filmemacher, aber auch für andere kreative Berufe ziehen. Diese Menschen beuten sich schnell selbst aus. Es ist schön, wie viel man für seine Leidenschaft geben kann, gleichzeitig aber auch bedenklich.

Im Film habe David mit vielen berufstätigen Köchen gearbeitet, die im Film als Statisten zu erkennen sind. Es sei ein unglaubliches Erlebnis gewesen, mit ihnen zu arbeiten. Auch das Hierarchieverständnis sei sehr präsent gewesen. Lachend sagt er: „Köche haben ein wahnsinniges Schauspieltalent, ich glaube, ich muss mehr von ihnen casten!“

Der Preis motiviert ihn dazu, seine Faszination, durch das Medium „Film“ Welten zu kreieren und Geschichten zu erzählen, noch mehr auszuleben und grössere Projekte zu realisieren. David verrät uns, dass er momentan an einem Langfilmprojekt arbeitet.

Text: Florian Rudolph, Juliette Dunaigre
Bilder: Omid Taslimi

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