Der Vokuhila: Der (Un-?)Kultfrisur auf der Spur4 min read
Reading Time: 3 minutesVokuhila: Was diese Frisur mit Gucci, Feminismus und Rock’n’Roll zu tun hat und warum wir sie so schnell wohl nicht loswerden. Antworten auf diese und andere brennende Fragen der Menschheitsgeschichte findet ihr weiter unten.
Für manche ist es eine Frisur, welche unglücklicherweise aus Dantes siebtem Höllenkreis entflohen ist, für andere wiederum ein Ausdruck unbändiger und Libido versprühender Freiheit. Ob jetzt jedoch ein ästhetischer Totschlag oder doch eine visuelle Erleuchtung, eines lässt sich nicht leugnen: Es gibt wenige Haarschnitte, welche so sehr polarisieren und die gespannte Aufmerksamkeit eines*er Passanten*in garantieren wie der Vokuhila. Doch was genau steckt hinter dem Kulthaarschnitt eigentlich?
Wer hinter dem Namen Vokuhila einen exotischen, hawaiianischen Ursprung vermutet und im Kopf bereits anthropologische Untersuchungen zu dessen Ursprung anstellt, wird wohl bald von der nüchternen Wahrheit eingeholt. Vokuhila ist schlicht und einfach eine Abkürzung, hat es dabei nicht mal auf die Liste hipper Anglizismen geschafft, und steht salopp für «Vorne kurz und hinten lang». Typischerweise trägt man dabei Ponyfransen an der Stirn, kurzes, mitunter anrasiertes Haar an den Seiten und mindestens schulterlanges Haar am Hinterkopf (dieser Teil wird auch Nackenspoiler oder Matte genannt). Beim Vokuhila ist, im Gegensatz zum Wahlversprechen vieler Politiker, der Name also wirklich Programm. Und dieses Programm scheint in der zeitgenössischen Kultur immer mehr angekommen zu sein. Ob bei Bands wie von wegen Lisbeth, Surfbort, der holländischen Kultserie New Kids, oder gefühlt der halben jungen Stadtbevölkerung Berns, der Vokuhila hat seinen pompösen Wiedereinstieg in die Frisurenlandschaft eingehalten. Selbst Gucci unter Kreativdirektor Alessandro Michele liess in seinen Runway Shows 2019/20 Vokuhila Models auf den Laufsteg, kurz darauf folgten Vokuhila Covers verschiedener Modemagazine und Blogs (Auf der Gucci Beauty Linie prangte das Antlitz von Dani Miller, einer ikonischen Vokuhila Trägerin), was eine regelrechte Modewelle unter Neohipstern ausgelöst hat. Um der Anziehungskraft dieses Haarschnittes auf den Grund zu gehen, ist ein kleiner Einblick in dessen Geschichte hilfreich.
Der Vokuhila erlebte seine Glanzphase und offizielle Geburt vor allem in den 80ern und frühen 90ern, wo verschiedene Kultur- Musik- und Sportlegenden zu dessen Ruhm und Beliebtheit beitrugen, namentlich etwa Bono, David Hasselhoff, David Bowie, Eishockeystar Wayne Gretzky und selbst Chuck Norris. Die Frisur war damals ein Ausdruck des wilden Rock’n’Rolls, ein rebellischer Schrei gegen die biedere und stets präzis geschnittene Gesellschaft und avancierte sich zum Sinnbild der 80er. Doch auch schon in den 60ern und 70ern wurden Prototypen des Vokuhilas als Kind der Hippiezeit und freien Liebe gesichtet und selbst in den Goldenen 20ern wurden einige Anzug tragende Herren mit dem Anblick dieses Haarschnittes geschockt. Selbst der antike griechische Dichter Homer erwähnte den Haarschnitt in seinem Buch «die Ilias» und verschiedene Historiker konnten diese Art der Frisur auch schon bei den Römern, Assyrern und vielen weiteren Völkern der Antike einordnen.
Die Geschichte des Vokuhilas der Neuzeit ist geprägt von Spannungen, spaltete seit jeher die Gesellschaft und tauchte auch stets bei historischen Umbruchzeiten wie den 60ern auf. Von manchen beispielsweise während der 80er als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Freiheit gegen gesellschaftliche Zwänge verstanden, wurde er von wieder anderen als die Frisur der Proletarier, Rock’n’Roll Drogenfällen und professionellen Jobverweigerern angesehen. Im Englischen zum Beispiel wird der Vokuhila Mullet genannt, was sich von Mullethead ableiten lässt und im 19ten Jahrhundert so viel wie Schwachkopf bedeutete. Es ist jedoch gerade dieses Spannungsfeld des Vokuhilas, welches diese Frisur so interessant macht. Der Vokuhila selbst ist eine Widersprüchlichkeit in sich (man schaue sich nur schon den Schnitt an), welcher scheinbar unvereinbares in sich zusammenfügt. Eine geläufige Bezeichnung zum Beispiel ist der Ausdruck «Business in the front, Party in the back» eine Synthese zwischen Arbeit und Vergnügen sozusagen, welches in unserer Leistungsgesellschaft normalerweise strikte getrennt wird. Eine andere Lesart der Frisur lässt sogar feministische und genderaufbrechende Interpretationen zu. Der Vokuhila mit seinem langen und kurzen Teil vereint klassische männliche und weibliche Frisuren und verwischt in seinem*n Träger*in deren Trennung. Es ist vielleicht gerade die Unsicherheit unserer heutigen Zeit mit dem daher gehenden Umbruch sozialer Konventionen, welche den Vokuhila wieder so verlockend erscheinen lässt.
Ob jetzt als politische Statement Frisur gegen gesellschaftliche Konventionen gedacht, von Mode und Hipster Magazinen inspiriert oder aus welchen Gründen auch immer: Der Vokuhila hat sich allen Hindernissen zum Trotz stets behauptet und wird uns wohl (oder übel) noch eine Weile erhalten bleiben. Ich jedenfalls ziehe meinen Hut vor dem Mut von Vokuhila Träger*innen und würde mich darauf freuen, mit mehr von ihnen ins Gespräch zu kommen und sie nach ihrer Motivation zu befragen. Falls jemand von dieser Gattung über diesen Artikel stolpert, soll er sich doch, über kurz oder lang, bei mir melden.
Autor: Timon Nieminen
Bild: Pexels, Yashar Molaee