Ein vielschichtiges Gewebe aus Linien und Flächen – Künstler*in im Porträt3 min read
Reading Time: 2 minutesVor einigen Monaten lag auf unserem Küchentisch eine Karte. Darauf das Foto aus einer Ausstellung von Gabriela Schoenenberger. Eine Wand, an der in regelmässigem Raster um die 90 kleine Zeichnungen aufgehängt waren. Die Karte begeisterte mich sofort. Als ich später dann zwei der kleinen Bilder live sah, war ich beeindruckt.
Ich konnte gar nicht so genau erklären, was mich an den Bildern so fasziniert hat. Ihre Materialität. Ihre Vielschichtigkeit. Ihre Einfachheit. Die Kraft des Abstrakten. Deshalb beschloss ich, an einem herbstlichen Sonntag nach Willisau zu fahren, um die Künstlerin in ihrem Atelier zu besuchen, um mehr über Gabriela Schoenenberger und ihre Arbeit zu erfahren.
Gabriela arbeitet vor allem mit Graphit. Von kleinen, ganz feinen Bleistiften, bis zu faustgrossen massiven Graphitstücken. Sie beginnt ohne Vorstellung davon, wie das Endresultat aussehen wird. Mit einem Anfang, der sich gerade richtig anfühlt. Wie es der Literaturkritiker Urs Bugmann an ihrer Vernissage sehr treffend beschrieben hat: Ihre Bilder entstehen „aus zunächst unwillkürlichen Setzungen, die als Fragen aufgenommen und von neuen, nun willkürlichen Setzungen beantwortet werden.“ Er vergleicht dieses Zeichnen mit einem Erkunden. Mit neuem Schauen und Entdecken von nie Gesehenem. Nach und nach kann eine Landschaft entstehen. Ein Gewebe aus Linien und Flächen. Von kleinen Rastern und grossen Strukturen. Schicht um Schicht. Das Endresultat hat Ausstrahlung und Kraft. Diese kleinen, oft bloss A6 grossen Blätter, erzählen Geschichten. Jedes einzelne Papier eröffnet eine eigene Welt. Die Zeichnungen scheinen lebendig. Nicht starr und festgefroren, sondern bewegt und einladend.
Jeder Strich, jeder Farbpigmentpartikel scheint am richtigen Ort zu sein.
Seit diesem Jahr arbeitet Gabriela intensiv mit einem Skizzenbuch. Darin kann sie keine Seite stehen lassen, wenn sie sich für sie unfertig anfühlt. Sie holt das Letzte aus dem dünnen Skizzenbuchpapier heraus. «Es esch so schön, wells so schlächts Papier esch. Es läbt rechtig.“ Die Einfachheit der Mittel. Papier, Graphit, weisses Acryl und manchmal ein wenig Ölkreide oder Farbpigmente, verstärken die Intensität der Bilder. Gabriela selbst sagt: «ech hätt jo scho gärn Farb – aber es stemmt ned im Beld». Für sie sei das schwarzweiss durchaus bunt. Mit der zeichnerischen Hand und dem malerischen Blick bewandert sie eine feine Grenze. Urs Bugmann sagt, dass wir beim Betrachten dieser Bilder kein Wiedererkennen erleben. Sondern neue Dinge entdecken können, die über unsere bisherigen Erinnerungen und Vorstellungen hinausreichen. Gabriela erklärt, beim Zeichnen denke sie nicht. Es sei eine Mischung aus Konzentration und Reflexion. Aber sie muss immer komplett bei der Sache sein. Beim Putzen rotieren ihre Gedanken, aber beim Zeichen wird sie ganz gebraucht. Vielleicht ist es auch deshalb, dass für uns die Bilder anders und neu wirken. Sie kommen aus dem Inneren und zeigen eine Sicht, die wir selber nie sehen werden. Weil es nicht die unsrige ist. Und vielleicht ist es auch deshalb so schwer, in Worte zu fassen, mit welchen Mitteln die Zeichnungen persönlich so mitnehmen, hineinziehen, fesseln.
Während ich mich mit dem Werk von Gabriela Schoenenberger befasst habe, ist mir wieder einmal klar geworden, dass es viel sehenswerte aktuelle Kunst in der Schweiz gibt. Wir müssen dafür nicht nach New York, Antwerpen oder London schauen, sondern können auch in Luzern die Augen offenhalten. Der Ausflug nach Willisau war sehr bereichernd. So sollte ich mich viel öfters aufraffen und die vielen kleinen Galerien und Ausstellungsräume in unserer Umgebung besuchen. Denn der Weg lohnt sich fast immer auf die eine oder andere Weise.
Text: Johanna Küng