KUNST-KARAMBOLAGE – Per Zoom und Mausklick durch virtuelle Ausstellungsräume8 min read
Reading Time: 5 minutesKUNST-KARAMBOLAGE sind freie, subjektive Texte zu ausgewählten Ausstellungen geschrieben von Aline, Anica und Florian.
Diesmal über die Ausstellung «Whiteout» der zehnten Ausgabe der interkantonalen Cantonale Berne Jura im Kunstmuseum Thun.
Offizieller Ausschnitt des Ausstellungstext
Unter dem Titel Whiteout werden die 28 künstlerischen Positionen präsentiert, die die diesjährige Jury aus den rund 450 Eingaben ausgewählt hat. Das meteorologische Phänomen Whiteout ist z.B. im Hochgebirge zu erfahren. Bei schneebedecktem Boden und gedämpftem Sonnenlicht lösen sich die Konturen auf, der Horizont verschwindet, Boden und Himmel verfliessen ineinander und plötzlich herrscht eine völlige Desorientierung
–
Jedes Jahr gibt es in einigen Kantonen der Schweiz eine Ausstellung, die unterschiedliche Positionen zeitgenössischer und lokaler Künstler*innen versammelt. Die Cantonale Bern Jura macht genau das und verteilt eine sehr grosse Auswahl an Künstler*innen auf zehn Museen in diesen beiden Kantonen. Wir haben uns die online Version der Cantonale vom Kunstmuseum Thun angeschaut. Ich habe das Kunstmuseum Thun noch nie besucht. Es fühlt sich eigenartig an, das Gebäude virtuell zu entdecken. Mithilfe einer kleinen Karte der Ausstellungsräume kann ich mich orientieren und erkennen, wo überall eine 360° Ansicht der Ausstellungssituation möglich ist. So kann man jeden Raum von einem Standpunkt aus in alle Richtungen betrachten. Durch die ungewohnte Situation komme ich schnell ins Spielen und verleite mich selbst dazu eigenartige perspektivische Verzerrungen auszulösen. Mit dem starken Zoom schaue ich mir eine Deckenmalerei aus nächster Nähe an. Sie zeigt mir Blumen, Ornamente, Weintrauben und Waldtiere. Diese Deckenmalerei scheint mir durch die virtuelle Tour an Bedeutung gewonnen zu haben. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, was oben, unten auf Augenhöhe oder sonst wo ist. Auch die Distanz zu einem Detail ist nicht mehr entscheidend, weil das Zoom so stark funktioniert. Schnell verirre ich mich in weissen Wänden oder Unregelmässigkeiten in den Holzböden der Räume, nach dem ich irgendwohin zoomte und von da aus dann zum nächsten Gegenstand zu gelangen versuche. So entsteht eine räumliche Verwirrung, die mir recht gut gefallen hat. Schwieriger fand ich die Tatsache, dass man sich in dieser Art von Ausstellung nicht um Gegenstände herumbewegen kann. So ist dieses Format für plastische und installative Arbeiten natürlich besonders ungerecht. Bei einigen Arbeiten wie beispielsweise bei «Wischmopp» von Luc Isenschmid hilft mir das Bildmaterial, so wie es online zu sehen ist, sehr wenig dabei die Arbeit zu verstehen.
Bei den Bildern ist es so, dass sie sich anklicken lassen, sodass eine frontal abfotografierte Version davon sichtbar wird. Ich schaue mir von allen Bildern zwei Versionen an. Einmal wie sie von der 360° Kamera aufgenommen wurde und einmal isoliert fotografiert. Die beiden Versionen unterscheiden sich in ihrer Farbigkeit und Qualität voneinander. So klicke ich mich durch zwei Parallel-Varianten der Ausstellung durch. Die eine hilft mir mehr mich im Objekt zu vertiefen, die andere zeigt mir die Umstände besser in denen die Werke platziert sind. So sehe ich beispielsweise in den Fotografien von Rolf Wenger die Malereien von Sylvie Aubry gespiegelt, was ich recht schön finde. Trotzdem denke ich, dass die Ausstellung nicht wirklich zusammenhängend ist. Auch der Titel «whiteout» scheint mir so offen gelassen, dass auch dieser keinen Kontext schaffen kann. Dieser Umstand finde ich generell an Jahresausstellungen recht anstrengend.
Die Umstände der «Ersatz-»Ausstellung schaffen es trotz ihrer Verluste auch einigen Werke interessante neue Aspekte zu geben. Die Arbeit von Louna Berkane (leider wird auf der Homepage kein Titel angegeben) zum Beispiel. Ihre Fotocollage, welche sich in verschiedenen Grau Tönen überlagernde Volumen zeigt, verwirrt in der räumlichen Disorientation im Virtuellen noch mehr. Es wird schwer einschätzbar, wie plastisch dieses dunkle, amorphe Konstrukt ist, welches lose vor einer weissen Wand sich zu ballen oder wachsen scheint.
Noch verwirrender fand ich in diesem Zusammenhang die Arbeit von Marco Frauchiger «how to dismantle a bomb». In seinem performativen Buch, welches im Museum als Video präsentiert wird, beschäftigt der Künstler sich zum einen mit der Verarbeitung der Bombardierung von Laos, zum anderen auch mit der Diskrepanz von Bild und original Gegenstand. In diesem Dialog von Erfahrung, Gegenstand, Bild und Film kommt jetzt auch noch eine weitere Ebene, die der Virtualität hinzu. So hat mich Frauchigers Werk auch überzeugen können, weil es mich selbst in der Situation, den virtuellen Raum entschlüsselnd, direkt ansprach.
– Florian
/
Heute ist es nass draussen. Der Himmel ist fad, die Stimmung auch. Ich setze mich an den hölzernen Tisch, klappe den Laptop vor mir auf, versuche zu verschwinden in anderen Räumen. So ganz gelingt mir das nicht. Tür auf, Mitbewohner raus, Klobesuch, eine Bemerkung, und noch eine Frage wegen des Einkaufs, ich hätte Lust auf einen Tee, die Pfeffermühle neben meinem Bildschirm ist von Peugeot, warum sich eigentlich auf Pfeffer Maler und Autos spezialisieren? Gibt’s da einen Zusammenhang, den ich nicht versteh?
Es ist die erste virtuelle Ausstellung welche ich besuche. Die Räume verziehen sich, die Orientierung ebenfalls, beinahe hätte ich ein Ausstellungsstück verpasst. Bei Raffaella Chiara steht in der Beschreibung, ihre Arbeit wäre für den Raum konzipiert. Das ist jetzt irgendwie doof. Auch Objekte und Installationen sind schwer zu fassen. Bilder und Fotografien habens in der virtuellen Version schon leichter. Einige davon sind aber schlecht fotografiert, teilweise reflektiert die Glasscheibe, mit welcher die Arbeit geschützt ist. Das Bild von Diego Kohli erscheint verkehrt herum, wenn man es anklickt. Marco Frauchigers Buch-Performance-Film funktioniert in dieser Zeige-Art am besten. Weil uns Filme stärker einnehmen und absorbieren können als Erstarrtes?
Dafür aber, ziemlich geil, sind die Informationen zu Werk und Künstler*in direkt am Ausstellungsobjekt. Also kein verwirrtes Geblättere im Austellungsheftchen. Und, was noch viel geiler ist; keine Anfahrtskosten, Eintritt, Hin- und Rückreise, keine beobachtenden Blicke. Eine Chance zur Demokratisierung von Kunst? Ich kenne sie. Leute, die gehemmt sind, Museen zu besuchen. Das Unbehagen nicht zu verstehen oder weil Museen elitär seien. So virtuell, traut man sich vielleicht eher, da mal reinzuschnuppern.
Die Werke der einzelnen Künstler*innen fangen mich mal mehr, mal weniger. Domenic Michel bringt mich zum Lachen, Stéphanie Baechler lässt mich über Verpackungsmaterial, Schutz und Schutzlosigkeit sinnieren und Marco Frauchigers Arbeit setzt – aus einzelnen Teilen – spielerisch aber nicht verharmlosend ein Gefühl der Lebensrealität mit den Nachwehen des Krieges zusammen. Was mich aber am meisten beschäftigt, ist die Ausstellungsart. So hätte ich mir einen kreativeren Umgang mit der vorherrschenden Situation erhofft. Das Konzept Ausstellung ganz neu erfinden. Jetzt ist es nur der Abklatsch eines Museumsbesuchs. Trotzdem schön, dass uns diese Möglichkeit zur Verfügung gestellt wird, anstatt zu pausieren.
– Aline
/
Die Realität ist ganz anders als die, die sich die Phantasie so schön ausgedacht hat, und ich fange an, mich damit abzufinden. Und da die Vorstellungskraft für Kunstwerke im digitalen Raum bescheiden ist, ist die Wirkung im virtuellen Raum nicht so gross. Aber ich versuche mich immer wieder in die Realität zu projizieren. Ich stelle mich allem, was meinen Weg kreuzt. Und nun kann ich mich diesen Umständen nicht entziehen. Ich stelle mir vor, dass ich in etwas anderes hineingezogen werde als in den Laptop, aber in was? Ich kann nur passiv sein, lass es mir passieren. Zunächst wirkte die virtuelle Ausstellung etwas uncharmant. Die Arbeiten im gleichen, nachgestellten virtuellen Raum anzuschauen war wohl ein Versuch die Ausstellung im Nicht-Digitalen-Raum nachzumachen, aber wenn ich diesem neuen Ort keinen Platz schenke, kann auch nichts Neues dabei beginnen. Ich blühe dabei auf. Ich klicke mich durch die verschiedenen Arbeiten im 360 Grad, virtuellen, Kunstmuseum Thun. Die Ausstellung beschäftigt sich mit Naturphänomenen oder genauer gesagt mit meteorologischen Phänomenen. Wie zum Beispiel der Boden und Himmel ineinander verfliessen. Dies wird hier auch im übertragenen Sinne gezeigt. Die Werke hängen sehr geordnet an der virtuellen Wand. Die letzte Arbeit welche ich mir angeschaut habe, und sich mir bis jetzt aufdrängt, war der 16- minütige Film von Marco Frauchiger „how to dismantle a bomb“ übersetzt „Wie man eine Bombe zerlegt“. Er zeigte ein performatives Buch im Video Format. Laos wurde neun Jahre lang von den USA mit mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben beworfen. Dies ist nun bereits fast 50 Jahre her. Marco Frauchiger interessiert sich für das Kriegsmaterial das in Laos immer noch in grossen Mengen zu finden ist und den Umgang der Bevölkerung mit dem Materialerbe. Demontierte Bomben umfunktioniert zu Halsketten, Besteck, Baumaterial, Souvenirs. Eine ästhetische Form, Symbol und Erinnerung an den Krieg. Im Video blättert er sein Buch durch und immer wieder höre ich Audiofragmente oder Videos gleichzeitig mit einer Fotografie, die entweder analog oder digital aufgenommen wurde, dadurch werde ich noch mehr ins Geschehen einbezogen. Im Werkbeschreib lese ich die Worte: ist es möglich, ein grosses Geschen zu vergessen? Ich kann diese Frage nur mit Nein beantworten. Frauchiger stellt mir auch die Frage wie ich mit Krieg und Vergangenheit umgehe. USA-SAU-AUS, diese Wörter springen schon seit Tagen in meinem Kopf herum, die müssen hier raus.
– Anica
/
Falls ihr euch die Ausstellung euch auch mal reinziehen wollt, klickt ihr am besten hier.