Stirb Club, stirb! Oder erfinde dich neu – Wie es um die Schweizer Szene steht6 min read
Reading Time: 4 minutesDer Club war lange ein Ort der Zuflucht, eine Oase fürs Anderssein. Doch damit ist schon länger Schluss, und das nicht nur pandemiebedingt. Im Gespräch mit dem Basler Jannik Roth finden wir heraus, dass die Clubkultur die wohl schwerwiegendste Identitätskrise seit ihrer Geburt durchmacht.
Es ist paradox: Nach einem Jahr, das die Existenz der Clubkultur so sehr bedrohte wie es zuvor kaum ein anderes tat, ist das Verlangen nach einem Clubbesuch stark gewachsen. Weil die Clubkultur nicht einmal nur pandemiebedingt in sich zusammenbricht, könnte diese eine nächste Sinnkrise auslösen.
Willkommen im Club
In den 1980er-Jahren wurde der Club als Kulturstätte geboren. In ihm wurde Andersartigkeit ausgelebt, allen voran prägte die LGBTQ-Szene den neuen Ort, ja sie zog es beinahe selber auf. Der Club bildete einen Zufluchtsort, an dem sich Gleichgesinnte finden, kennenlernen und unterhalten konnten. Der Club wurde erschaffen, um jedem Individuum die Möglichkeit zu geben, bedingungslos sich selbst zu sein.
«Die Clubs haben in den letzten zehn Jahren sich selbst heruntergewirtschaftet und sehr vieles falsch gemacht.»
Seit fast einem Jahr befinden sich die Clubs – mit einem kurzen Break – in einer Zwangspause. Die Kultur rund um elektronische Musik scheint – wenn auch ungewollt – mit staatlicher Hand dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Etwas anders sieht das aber der Basler Clubkenner Jannik Roth. «Die Clubs haben in den letzten zehn Jahren sich selbst heruntergewirtschaftet und sehr vieles falsch gemacht», erklärt er im Gespräch. Und das soll sich nun rächen. Roth ist Gründer von Planisphere, einer Agentur, die sich mit der Thematik auseinandersetzt, Kultur ganzheitlich wahrzunehmen und dabei auch ökomische Verantwortung zu übernehmen.
Im Gespräch erzählt der Basler von früher, als er seine Nächte als Jugendlicher in Clubs erlebte. Und dies oftmals alleine – alleine, und gleichzeitig mit allen, die da waren. «Eine Nacht in einem Club ist eine massive physische Erfahrung. Der Club ist ein Raum, in dem ich mit dem gegensätzlichsten Menschen eine Verbindung aufbauen kann und wir für eine Nacht für dasselbe dastehen: Wir brennen für das, was in dieser Nacht in diesem Club passiert.»
Social Media: The Killer of Clubs?
Wenn es nach Roth geht, hat der Club mittlerweile seine – unter anderem eben genannten – Werte teilweise eingebüsst. Er konnte sich der stark verändernden Welt nicht adequat mithalten.. «Die Sozialen Medien und die Kommerzialisierung der Clubkultur machten die Werte, die einen Club eigentlich auszeichnen, müssig», erklärt Roth. Wer früher im Club seine Sorgen forttrampelte, seine Community physisch antraf und mit ihr durch die Nacht schwebte, dürfte heute vermehrt auf die weit verbreitete, teils auch trügerische Verbundenheit hinter der Mattscheibe des eigenen Hosentaschengefährten zurückgreifen.
«Im Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung institutionalisiert sich eine Subkultur zu einem gesellschaftlichen Kulturgut.»
Wegen dem Aufkommen von Sozialen Medien hätte sich der Club ebenfalls verändern müssen. Dieser Kraftakt sei den Clubbetreibern nicht gelungen und mitunter ein Grund dafür, dass viele Clubs nicht dem kulturellen Bedürfnis und Anspruch der heutigen Zeit entsprechen. Roth meint weiter: «Im Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung institutionalisiert sich eine Subkultur zu einem gesellschaftlichen Kulturgut.» Und das sei schliesslich ein Widerspruch. «Denn die subversive Ideologie der Clubkultur ist in ihrer Essenz gar nicht kompatibel mit dieser Transformation.»
Kommerz und die fehlende Mission der Clubs
Ein weiteres Problem: «Ein Club braucht eine eigene Identität und Vision, ein Missionstatement das über dem Tagesgeschäft steht», meint Roth. Viele der Gäste würden einen Club besuchen, weil es da cool ist, nicht aber aufgrund des eigentlichen kulturellen Aspekts. Der Ursprung dieses Problems soll rund zehn Jahre zurückliegen. Anfangs der 2010er-Jahre ist die Schweizer Clubkultur nämlich – so wie rund um den Globus – regelrecht explodiert.
Clubbing ist ein Hype, je grösser und mehr, desto besser und lässiger ist das Erlebnis. «Die asketische Abgrenzung innerhalb der kulturellen Materie hat stark unter dem Kommerzialisierung der Clubkultur gelitten», stellt Roth fest.
Vom Ökosystem und gekonnten Innovationen
Die grosse Frage, die man sich nun also stellen muss, heisst: Kann sich die Schweizer Clubkultur als veritables Kulturgut entwickeln? Ist der Spagat zwischen professionellem Arbeiten und subversiver Ideologie möglich? Ist es der Clubkultur möglich, auf Bundesebene für sich zu lobbyieren – gerade um auch in Krisenzeiten wie jetzt resistenter zu werden? Schwer zu sagen, meint der Kulturdenker Roth.
«Die Schweiz hat ein zu nostalgisches Verständnis von Subkultur.»
Aber: «Schaut man beispielsweise nach Berlin, sieht man klar, dass die Professionalisierung eines Clubs wie zum Beispiel das Berghain funktionieren kann. Und zwar mit Label, Agentur und Club, die gemeinsam ein ganzes Ökosystem ergeben.» Wie jede Industrie braucht es gesunde und funktionierende Strukturen, die man entwickeln und aufbauen muss.
Und Roth gibt zu: «Der Safe Space, wie ihn ein Club früher einmal ausmachte, kann heute gar nicht mehr erreicht werden. Die Schweiz hat ein zu nostalgisches Verständnis von Subkultur.» Damit meint er wohl die ewige Reproduktion von schon Dagewesenem anstelle des Kreierens von etwas Neuem. «Aus den Learnings, die die Clubkultur in der Vergangenheit machen musste, sollte nun ein neues Zukunftsbild gestaltet werden», führt Roth aus. Und die aktuelle Situation kommt dafür vielleicht gar nicht mal so ungelegen.
Die Wirkung, die man mit einer eigenen Neuerfindung erzielt, zeitigt aber nicht immer direkt ein Resultat. «Manchmal muss man einfach in eine Richtung wirken, an die man glaubt. Später sieht man, was es gebracht hat.»
Nicht gemachte Hausaufgaben und ein ratloser Staat
Erstaunlich erscheint die prompte Aussage Roths, dass die minderwertige Stellung der Clubs während Corona teils selbstverschuldet sein sollen. «Hätten die Clubs in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben gemacht, müssten sie jetzt nicht mit den Behörden diskutieren.»
Obwohl die Clubs eine ganze Menge Geld erwirtschaftet haben, ist vielen die eigene Professionalisierung misslungen. Deswegen besteht die Möglichkeit, dass der Staat diese Häuser in eine andere als die Kulturschublade steckt. Aber Roth findet dennoch: «Zu sagen, dass in einem Club, in dem hauptsächlich DJ-Sets gespielt werden, kein kulturelles Moment hergestellt wird, ist fatal. Bei dieser Einschätzung muss das zuständige Bundesamt gewaltig über die Bücher. Und zwar schnell.» Spätestens dies zeigt, wie paradox die Situation tatsächlich ist.
Offene Fragen und ein Appell an Clubbetreiberinnen
Der Club – ein Ort, der für viele unter uns sehr wichtig ist. Sei es die emotionale Stütze in schwierigen Zeiten, oder der Ort, um kulturelle Höhenflüge physisch erfahren zu können. Die Clubkultur hätte es zurzeit mehr denn je nötig, sich selber zu beweisen, sich zu verändern und zu profilieren, dabei ist ihr das zurzeit verboten. Ist sie wirklich selbst schuld für ihr Problem? Und kommt sie da wieder raus? Hat die Schweiz auch ein strukturelles Problem aufgrund ihrer Grösse? Muss Kultur immer subventioniert werden? Und hat sich in der Schweiz diese Form der Entwicklung aufgrund fehlender Subventionen manifestiert, oder war sie menschliches Versagen? Viele Fragen, die schwer zu beantworten sind.
Es scheint, als müssten Clubbetreiberinnen selbst anpacken – und zwar sofort. Und nur die Zukunft wird weisen können, ob die Veränderung, die der Club nun durchmacht, auch in postpandemischen Zeiten funktionieren wird. Eines ist klar: An neuen Ideen, Konzepten und Energien wird es den Kulturschaffenden dieses Landes noch länger nicht mangeln. Es braucht nur Mut – und zwar eine gewaltige Portion davon.
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