30 Jahre Mundart-Rap: Die Retrospektive eines Fanatikers6 min read
Reading Time: 4 minutesSchweizer Rap feiert in diesem Jahr seinen 30sten Geburtstag. Zu diesem Anlass haben wir in unserer frachtwerk-Besatzung den hartgesottensten Mundart-Rap-Fanatiker rausgepickt und ihn darum gebeten, in seinen Erinnerungen zu schwelgen. Schnell wurde klar: Monsieur Fischer ist hartgesotten und hat sich schon in so manche Hip-Hop-Crews verguckt. Doch seht selbst.
ein Gastbeitrag von Silvio Fischer
Wir schreiben das Jahr 2021. Kürzlich durfte ich meinen 35. Geburtstag feiern – gut, wenn man das in unserer Situation als feiern bezeichnen kann?! Ich möchte hier einem guten Kumpel zu seinem 30sten gratulieren. Mit Baujahr ‘86 kenne ich ihn schon seit klein auf und möchte mit euch ein bisschen aus der Nähkiste plaudern, wie er seinen Weg gemacht hat.
Es war Mitte der 90er-Jahre und ich noch ein kleiner Knirps, als ich ihn das erste Mal traf. In der Primarschule erhielten wir für ein paar Wochen einen jungen Stellvertreter. In den Musiklektionen sangen wir dann nicht, sondern übten Tanzschritte ein, die doch sehr an DJ Bobo-Choreographien erinnern würden. Doch die andersartige Gestaltung und die Schritte einzuüben hatten was Spassiges, vor allem hinterliess der lupfige und wiederkehrende Trommelbeat eine bleibende Erinnerung. Der Song hiess übrigens «The Breaks».
Zur Jahrtausendwende, genau 1999, folgte schliesslich der erste Augenöffner. In der Bibliothek der Kantonsschule lachte mich ein Tape (genau, eine Tonbandkassette!) mit seinem comicartigen Cover an. Dumm nur, dass ich kein Wort verstand und bis heute mein Französisch mehr schlecht als recht ist. Aber trotzdem gefiel mir sofort, was mir da Sens Unik in die Lauscher schallte. Mein Interesse war definitiv geweckt.
Nun, gab es diesen Rap oder wie das hiess, denn nicht auch auf Schweizerdeutsch? Ich begab mich auf die Suche und stiess auf den lokalen Wrecked Mob. Die bunt aus der Schweiz zusammengewürfelte Truppe mit Sitz in Luzern packte mich mit ihrem Album «Läbenslauf» und durch die beiden Crewmember Spooman und Shape aka Dynamic Duo fand ich endgültig den vollen Kontakt zu Hip Hop. Endlich verstand ich was, dankeschön! Und diese Form zu reimen und zu dichten, über sequentiell wiederholende Beats, übte eine nicht zu erklärende Faszination auf mich aus, die mich bis heute nicht mehr losliess. Das Gefühl war einfach supermega.
Es folgte eine Zeit in welcher ich mich mehr und mehr mit der Kultur auseinanderzusetzen begann, dann entdeckte ich meine Leidenschaft für das Zeichnen. Obwohl ich nie selber an Wände ging, sketchte ich in jeder freien Minute Tags und Schriftzüge, und wurde immer besser, definierte meinen Stil. Zur selben Zeit entwickelte sich der Schweizer Rap zu seiner vollen Blüte. Ich würde das auf 2002 bis 2004 festlegen. Während Stress sowie Bligg als Solokünstler immer stärker in den kommerziellen Fokus rückten, machte sich aus dem Bündnerland Sektion Kuchikäschtli auf den Weg, die Schweiz zu erobern. Und Rennie, der wohl dopeste Doppelreimer, darf mit Fug und Recht behaupten: «i han…dSchwiiz eroberet». Ihre Tour besuchte ich drei Mal, es waren meine ersten Livekonzerte von Schweizer Rapkünstlern.
Vor gut 20 Jahren gab es Spotify noch nicht, ja nicht mal Youtube, stellt euch das mal vor! Deshalb war es noch üblich, dass man in den Läden CDs direkt vor Ort probehörte. Ganze freie Nachmittage gingen dafür drauf, neue geile Mucke zu finden. Ich wählte dafür meist Compilations aus, um mir unbekannte Künstler zu entdecken, und dann weiter nach dessen Alben zu suchen und so weiter und so weiter… Der andere Weg war über Kollegen oder, tatsächlich, über den guten alten Musikkanal VIVA.
So geschehen bei der TAFS (Taz Amon Flink Squad). Sie konnten mir unter Beweis stellen, dass auch in der Nordwestschweiz fedde Repp produziert wird. Nach einer ausführlichen «Introspektion» von Taz traf ich meine Kollegen oft um 8ti Bahnhof, um anschliessend die lauen Sommernächte in der Ufschütti, unseren Brandhärd, zu geniessen. Leider folgte am nächsten Morgen der Noochbrand, trotzdem wünschten wir uns, dass der Sommer für immer bleibe.
Gegen Ende der Matura schwappte schliesslich die Berner Welle über die Schweiz, welche ich anfangs nur passiv mitverfolgte. Wurzel 5, Baze und das Gesamtkollektiv Chlyklass, waren in aller Munde. Und ein Grossteil meiner Mitmenschen war vollends von Tolkiens Hobbits gehypet. Hmm, ich hörte lieber den Hobbitz zu, ebenfalls Bärn Räp Verträter.
Trotzdem tat ich mich anfangs leider schwer damit, da mich der Slang sowie die Eigenart zu reimen, nicht sonderlich ansprachen. Es benötigte etwas Zeit, bis mir ein Licht aufging und ich sagen konnte, «Bärner Räp isch guet». Und den einen Moment, 2006, das Konzert von PVP (ebenfalls der Chlyklass). Völlig atypisch fand es in der legendären Boa unter der Woche an einem stinknormalen Werktag statt. So fanden sich auch nur etwa 15 Besucher ein. Was musste das wohl für ein Gefühl sein für die Jungs. Doch sie pumpten ihre Tracks, angeführt von Greis, voll durch, schliesslich hatten sie ja «Eifach Nüt» zu verlieren. Anfangs wollte ich das Konzert noch verlassen, doch ich ging Zrügg zum Glück. Seit diesem Tag eine treue Sau und nach all den Jahren, die ins Land zogen, kann ich immer noch behaupten, dass dieses Album bis heute das beste und rundeste Stück Schweizer Rapkultur ist.
Danach verlor ich einige Jahre die Szene aus den Augen, Studium und Familie wurden wichtiger. Ähnlich war es mit den Rapcrews, die mich seit der Jugend begleiteten. Sie wurden ebenfalls älter und entwickelten sich, passten sich teils an die neuen Stile und Trends an – was mir als Oldschool-Fan nicht gefiel. Ja, nennt mich ruhig einen hängengebliebenen Nostalgiker, der in der Vergangenheit lebt! Ich steh dazu.
Die meisten neuen Namen packten mich zu selten: Künstler wie Lo & Leduc oder Manillio, rüber zu Stereo Luchs oder Mimiks, trafen mein Gusto nicht oder ich konnte mich nicht damit identifizieren. Deshalb endet meine Retrospektive eigentlich etwa im Jahre 2011. Aber um es Luut und Tüütli zu sagen, gibt es einige Namen zu erwähnen, die mich begleitet haben. Da sind einerseits die Luzerner GeilerAsDu, der Basler Pyro Mc, der Bündner Milchmaa und die welschen La Base & Trucomers.
Meine Highlights der letzten Jahre kamen daher von Alteingesessenen, die ihr Ding machen und nicht totzukriegen sind. Nach über 15 Jahren meldeten sich die Hobbitz zurück, neu als Kaiser & Dimitri. Und klangen, bis auf die gereiften Stimmen, «Schlicht & Ergrifend» noch genau wie 1999. Auch Shape meldete sich 2017 zurück und legte eine richtige Bombe hin. Es war quasi «Zwei für Eine», die Musik lieferte TreBeats. Der Style wie eh und je, die Beats frisch und der Kopf nickend. Sie konnten meine persönliche Abkehr vom Schweizer Rap abwenden und nach langer Zeit spürte ich dieses Gefühl wieder: Es gibt noch richtigen Hip Hop!
Und die Hoffnungen, dass dieser weiterhin seine Wurzeln verankert und Triebe spriessen lässt, sind bei einem Blick auf die Neuerscheinungen der letzten Wochen berechtigt. Dazu werden demnächst fleissig Rezensionen erscheinen und euch sicherlich den einen oder anderen Anstoss liefern, eure Ohren mit einheimischen Hip Hop beschallen zu lassen.
Und zum Abschluss – möchte ich dir, liebe Schwiizer Räp, no härzlich zu dim 30sten gratuliere ond freu mich uf die nöchste 30 Johr.
Bild: Silvio Fischer