Albert-Einstein-Getue, zwei gelangweilte Paare und ein Stromausfall im Big Apple4 min read
Reading Time: 3 minutesBlackout am Hudson, Schrecken und dann «Die Stille». Der preisgekrönte US-Autor Don Delillo beschreibt in seinem aktuellen Werk ein erschreckend reales Szenario, bei dem sogar der Verlag noch ein Extrakapitel zur aktuellen Coronalage haben wollte. Er aber nicht!
Man sitzt am Anfang des Romans von Don Delillo mit im Flugzeug von Paris nach New York. Hier lernen wir die Hälfte der Protagonisten kennen, ein Pärchen, welches zusammen mit einem anderen akademischen Professorenpärchen und einem ehemaligen Studenten der Gattin in der Wohnung in Upper West Side (Manhattan) sitzt.
Es ist das Jahr 2022 und das grösste Sportereignis der Vereinigten Staaten, der Superbowl, steht an. Ein Kammerspiel bahnt sich an, mit dem grossen Happening, DAS Footballspiel gemeinsam zu sehen.
Also dann, sitzen wir nun im Flieger von Paris und lernen unser Paar kennen, die sich beide langweilen und die Stunden bis zur Ankunft zählen. Beschrieben wird hier ebenso langweilig, wie man seine Zeit verkleckert mit Blicken auf die Monitore und in welcher Höhe man sich befindet und wie viele Stunden es noch dauert. Es ist gleich offensichtlich, dass die Beiden sich nicht mehr allzu viel geschweige denn Bedeutendes zu erzählen haben. Hauptsächlich wollen Tessa und Jim bei ihren Gastgebern rechtzeitig zum Kick-Off ankommen und bei Häppchen und gutem Bourbon das Spiel geniessen. Selbsterkenntnisse fliessen ein, sodass man sich trotz der Kosten für die Business Class doch selbst als Economy sieht.
«Er sah sich selbst absolut als Economy.»
So weit, so langweilig! Uns wird im zweiten Kapitel dann der Rest der Figuren vorgestellt. Ähnliches Verhalten, ähnliche wichtige oder nichtige Diskussionen und ein ehemaliger Student der Gastgeberin und Professorin, der über Einstein referiert. Immerhin stehen dann wenigstens mal Bourbon und Sportwetten auf dem Programm, aber dies eigentlich auch nur so am Rande. Es folgt halbwegs bedeutungsschwangeres Gerede über das Weltgeschehen, doch irgendwie wirken auch hier die Protagonisten zu konstruiert. Kein Wendepunkt in Sicht. Stattdessen wieder grosse Überschriften wie: «Das Leben kann so interessant werden, dass wir ganz vergessen, Angst zu kriegen.» Ähm, ja, aber wohl noch nicht in diesem Buch. Während man auf die Ankunft von Jim und Tessa wartet, wird weiterhin drauflos philosophiert, über Football debattiert und Einsteinzitate werden als kleine intellektuelle Häppchen eingeworfen.
Einstein Zitate werden wie kleine intellektuelle Häppchen eingeworfen
Plötzlich die erhoffte Wende. Die (lang erwartete) Stille steht kurz davor einzutreten und dann fällt der Strom aus. Unsere Reisenden kommen in einem von Chaos befallenen New York an und stellen sich diesmal zurecht existenzielle Fragen in diesem «elementaren Dilemma». Nun denn, die eben Gelandeten treffen trotz der Dunkelheit bei den Gastgebern ein und finden sich in einer ebenso dunklen Wohnung wieder. Was dann geschieht, hat mich so ganz und gar nicht angesprochen. Wohl mag das mit dem Shutdown den Zeitgeist treffen oder irgendwie prophetisch sein, aber die Wende und die seltsame Entwicklung des Studenten, der sich in einen Einstein-Fieberwahn redet, war zwar irgendwie interessant zu lesen, dennoch völlig konfus. Aber mal ernsthaft; Wo ist da die Stossrichtung? Was sollen die vielen Fachbegriffe und die obskuren Verschwörungstheorien? Ich habe es nicht verstanden.
Ab diesem Punkt höre ich auch für euch auf. Denn wie ihr es eh schon in dieser Besprechung bemerkt habt, sitzt hier ein kopfschüttelnder Rezensent vor seinem Klapprechner. Ich hatte mir so einiges vom hochgefeierten und erfolgreichen Autor erhofft, aber dieser Cut war mir zu radikal. Wenn wenigstens eine Woody-Alleneske Wende gekommen wäre, hätte ich mich gefreut, aber dieses pseudointellektuelle Getue und Gerede mag vielleicht die Protagonisten blossstellen und dies damit bewirken, mich allerdings hat es einfach nur aufgeregt.
Das Kammerspielkonzept hätte man besser als Drehbuch oder Theaterstück verkaufen sollen
Leider war dies mein Erstling vom gebürtigen New Yorker, der wohl schon laut Verkaufszahlen und Kritiken besser abgeschnitten hat. Das Kammerspielkonzept hätte man besser als Drehbuch oder Theaterstück verkaufen sollen. Vielleicht wäre (oder wird noch) eine Verfilmung mit guter Adaption eine Rettung. Auch der Fakt, dass der Verlag zu diesem Buch noch ein Corona Kapitel haben wollte, hat mich zwar anfänglich neugierig gemacht, aber es hätte im Nachhinein keinen Sinn ergeben und weiss Gott keinen Mehrwert gehabt. Lesenswerter wäre es dadurch für mich sicher nicht geworden.
Gerne gebe ich, insofern der 73-Jährige in naher Zukunft noch eine Veröffentlichung plant, dem Typen noch eine Chance. Aber dieses teils zu Unrecht hochsterilisierte Stück “Zeitgeist” könnt ihr euch gerne in noch fernerer Zukunft anschauen, falls es denn doch eines Tages eine gute Drehbuchadaption gibt. Nichtsdestotrotz kann ich dieses Buch nicht empfehlen!
Dieses Buch passt zu…
…Drehbuchstudenten und reichen Manhattanites
…Freunden von anspruchsvollen Fremdwörtern und Verschwörungstheorien
…einem grossen Schluck Bourbon.
Text: Daniel Klein [www.stimmeundmehr.com]
Foto: © Joyce Ravid
Übersetzung: Frank Heibert