Winterthurer Musikfestwochen 2021: Vom Home Office direkt in den Moshpit4 min read
Reading Time: 3 minutesUngewohnt, mal wieder Livemusik auf den Ohren zu haben und in den Knochen zu spüren. Ungewohnt schön! Wir sind voller Vorfreude an die Veranstaltungen der Winterthurer Musikfestwochen gefahren und haben die Klänge auf sämtliche Sinne wirken lassen.
Wer sich auf das altbewährte Strassenfest in der Steinberggasse gefreut hatte, kam dieses Jahr nicht auf seine Kosten. Aber dafür alle anderen! Um nach den abgesagten Musikfestwochen 2020 trotz Coronabedingungen etwas auf die Beine stellen zu können, wurde das Festival dieses Jahr dezentral durchgeführt und die Veranstaltungen rund um Winterthur verteilt. Bewährt hat sich der enorme Organisationsaufwand allemal. Hier unsere Eindrücke:
Ist das Bass, den ich da spüre?
Die Luzerner-Boys GeilerAsDu machen den Start unseres Konzertmarathons. Das Gratiskonzert findet im Rychenbergpark statt, ganz idyllisch etwas ausserhalb der Innenstadt auf einem Hügel. Ein perfekter Wiedereinstieg in die Welt der Festivals – der Bass fährt ein wie der erste Schluck Wasser an einem verkaterten Sonntagmorgen. Die Band ist motiviert, die Crowd ist motiviert und der Sommerabend könnte schöner fast nicht sein. Mal wieder anstehen für Streetfood und Containertoiletten – genau so gehört sich das!
Mike Walker und Luzi Rast beklagen sich über ihre mangelnde Kondition, nachdem sie über ein Jahr lang nicht mehr aufgetreten sind. Anmerken kann man es ihnen aber kaum, die beiden hüpfen über die Bühne als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Auch das Publikum hat die Texte nicht verlernt, im Gegenteil: Das neu veröffentlichte «Uber As Meer» wird bereits begeistert mitgesungen.
Sind das Tränen, die ich da sehe?
In Zusammenarbeit mit den Musikfestwochen hat das Gewerbemuseum Winterthur Raum für ein Konzert der anderen Art geboten: Zwischen Ausstellungsobjekten in einem komplett weissen, abgedunkelten Raum gibt To Athena ihr zweites jemals gespieltes Konzert zum Besten und lässt uns ziemlich baff zurück.
«Wir sind hier, um eure Ohren mit Glitzer zu berieseln», meint Tiffany Limacher, die zusammen mit Polina Niederhauser am Cello und David Inauen an den Keys die Songs ihres Debütalbums «Aquatic Ballet» präsentiert. Das Publikum, das sich zwischen Statuen und Screens versteckt, trägt keine Schuhe und sitzt auf Yogamätteli und Sitzkissen auf dem Boden. Rechts läuft ein Video über Rapid Liquid Printing und links kann man zuschauen, wie Holzstuhlbeine gebogen werden. Könnte man, denn die Augen sind woanders. Gewisse haben sie geschlossen, andere blicken gebannt zum Trio herauf – jedoch lauschen alle lautlos und hören genau zu, was erzählt wird. Tiffany vermittelt ihre cinematischen Klänge und einfahrenden Texte mit einer solchen Wucht, dass ich mir die eine oder andere Träne in den Augenwinkeln der Zuhörenden wohl kaum eingebildet habe.
Auch bisher Unveröffentlichtes hat Platz im kleinen aber feinen Set: «Old Home» macht bereits Vorfreude auf das zweite Album – und das, bevor die Debüt-Tour überhaupt gestartet werden konnte. Die Daten dazu findet ihr hier. Klare Teilnahmeempfehlung unsererseits an alle, die gerne mit glitzrigem Kammerpop beworfen werden wollen!
Ist das Schweiss, den ich da rieche?
Zum krönenden Abschluss des Festivals haben wir uns natürlich auch den ultimativen Rap-Abend nicht entgehen lassen. Zurück im Rychenbergpark versammelt sich am zweiten Sonntag eine vorfreudige Masse an MAJAN und KUMMER Hörenden; bereit, den vom Regen aufgeweichten Boden aufzuwühlen.
Die beiden ergänzen sich schön: MAJAN macht den Start mit gemütlichen Sommerliedern und Klavierballaden, im Anschluss heizt Felix Kummer die Menge bei Anbruch der Dunkelheit ordentlich ein. Der Kraftklub-Frontmann hat bereits nach dem Intro die gesamte Menge in seinen Bann gezogen und dirigiert den Musikfestwochen-Chor zu Songs seines Albums «KIOX», aber auch zu abgeänderten, dröhnenden Versionen von Kraftklub-Hits.
Auch wenn es zuerst etwas komisch ist, nach langem Social Distancing direkt in den Moshpit zu treten (selbstverständlich mit Covid-Zertifikat), so fühlt sich die dichte Menschenmenge schnell wieder vertraut an. Ebenfalls schön zu sehen ist es, wie sehr sich auch die Künstler über ihr Konzert-Revival freuen.
Der Gastauftritt von MAJAN bei «Der Rest meines Lebens» hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen – da wäre das Max Raabe Playback wohl etwas tonsicherer gewesen. Mit ihm als Vergleich hat man es aber auch ziemlich schwer, da kann man dem jungen Stuttgarter keineswegs einen Vorwurf machen. Dennoch ist es ein klares Highlight, eine perfekte Encore, die wirklich alle mitsingen können. Auch hier fliessen Freudetränen – vor allen Dingen aber Schweiss. Gerne wieder!
Titelbild: © Winterthurer Musikfestwochen / Robyne Dubief