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Die Hysterie über die Hysterektomie3 min read

30. Oktober 2021 3 min read

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Die Hysterie über die Hysterektomie3 min read

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Ein Artikel von Nadja Landolt

Das Wort «hysterisch» wird heute gerne noch Frauen zugeschrieben, welche bei einer Diskussion auf den Putz hauen. Die Bezeichnung «hysterisch» ist nicht nur sexistisch, sondern auch historisch geprägt. Es ist ein Begriff aus der Medizin, der aus der Vergangenheit kommt und immer noch die Gegenwart dominiert.

Es ist Spätsommer und ich sitze an der Volière, die Sonne scheint und eine leichte Brise schmeichelt meinem Gesicht. Wie wunderbar! Ein Freund von mir setzt sich an den Tisch und wir beide blicken auf den Vierwaldstättersee.

Er erzählt mir von der Gebärmutterentfernung seiner Mutter. Nichts Schlimmes, bloss Myome.

Ich gib ihm zu verstehen, dass wir wirklich sehr oft im Labor Hysterektomien haben, welche mit Myomen durchzogen sind. Und das Myome in der Regel gutartige «Wucherungen» sind. Ich bin biomedizinische Analytikerin und arbeite im Pathologischen Institut am Luzerner Kantonsspital.

Als ich das Wort Hysterektomie ausspreche, sehe ich wie sich seine Stirn kräuselt: «Hysterektomie? Also das Wort Ektomie verstehe ich, das ist doch die Entfernung von irgendwas. Aber was hat der Wortteil Hyster zu suchen? Die Gebärmutter auf Latein ist doch Uterus?»

Ich schnaube kurz auf: «Ja das ist eine lange Geschichte über Sexismus in der Medizin». Seine Stirn legt sich wieder in Falten: «Was hat das mit Sexismus zu tun?».

Okay, da erkenne ich, dass ich eine kleine Geschichte über die «Hysterie» erzählen muss. «Weisst du als im 19. Jahrhundert Frauen sich ein bisschen zu fest aus dem Fenster gelehnt hatten oder depressiv waren, weil es auch saulangweilig war die ganze Zeit zu Hause zu sein und den Haushalt mit den Kindern zu schmeissen. Da konnte der Mann diese Abweichungen der Stimmungen der Frauen nicht nachvollziehen. Da mussten Ärzte zu Rate gezogen werden. Ja keine Ärzt:innen, weil ja Hallo 19. Jahrhundert. Diese ach so schlauen Ärzte, wussten natürlich auch nicht, warum diese Frauen so unglücklich oder störrisch waren. Es musste doch was sein, dass sie von den Männern unterscheidet, denn Männer sind weder depressiv noch störrisch.  Es muss also an einem Organ liegen, das nur Frauen besitzen. Namentlich: die Gebärmutter! Dort sitzt der Teufel!».

Mein Freund schaut mich mit grossen Augen an. Vielleicht weil ich wieder mal etwas zu theatralisch bin oder vielleicht auch weil mich diese ganze Hysterie-Sache nervt. Ich setze trotzdem die Geschichte fort: «Es kam dann so, dass diese Ärzte ein ganzes Krankheitsbild konstruiert hatten und es dann «Hysterie» nannten. Um der Hysterie entgegenzuwirken wurde der Uterus entfernt. Dies bedeutete auch Unfruchtbarkeit. Aber das war nicht das Einzige was sie taten. Die Ovarien, auch bekannt als Eierstöcke, wurden zum Teil auch entfernt, was sehr dramatisch war, weil dort wichtige Hormone produziert werden, und damals gab es keinen Hormonersatz. Auch gab es Ärzte, die versucht haben durch Stimulation der Klitoris die Hysterie zu bekämpfen. Der weibliche Körper diente ganz der Empirik».

Mein Freund ist offensichtlich schockiert. Ihm steht der Mund jetzt offen: «Aber wieso genau nennen wir es denn heute noch Hysterektomie und nicht Uterusektomie? Das ist in diesem Fall obsolet und erinnert nur daran, dass Sexismus in der Medizin toleriert wird».

«Gute Frage, welche ich mir auch oft stelle. Ich sehe so oft, dass dieser Begriff verwendet wird, mehrmals täglich kann ich es von den Formularen im Labor ablesen. Vielleicht liegt es daran, dass die Medizin immer noch von eurozentrischen Cis-Männern dominiert wird. Also es gibt zwar immer mehr Medizin Student:innen, aber die kommen dann nicht in die hohen Positionen hinein. Ausserdem glaube ich, dass diese Student:innen auch keine Zeit hätten sich feministisch zu betätigen, da das Medizinstudium oder auch die Arbeit als Mediziner:in sehr viel Zeit einnimmt. Wahrscheinlich würden sie auch von ihren männlichen Kollegen als «hysterisch» bezeichnet werden. Da die Medizin sich nicht so oft mit soziopolitischen Themen auseinandersetzt, obwohl es grosse Überlappungen gibt, werden sie nicht einsehen warum es von Relevanz sein könnte über Sexismus wie auch weitere Diskriminierungen zu reflektieren.  Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft werden oft als zwei voneinander getrennte Wissenschaften betrachtet. So lang dies der Fall ist, wird Feminismus in der Medizin eine Hysterie bleiben wie der Uterus auch».

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