KUNST-KARAMBOLAGE – Freundschaft unter Alltagsgegenständen6 min read
Reading Time: 5 minutesKUNST-KARAMBOLAGE sind freie, subjektive Texte zu ausgewählten Ausstellungen geschrieben von Aline, Anica und Florian.
Diesmal über die Ausstellung «The Two of Us» im Kunstraum Satellit in Thun von Irene Schubiger.
Offizieller Ausschnitt des Ausstellungstext
Eine Schachtel aus Holz und ein prall gefüllter Sack sind mit einem geknickten Kartonrohr verbunden. So als würden sie sich damit die Hand geben wollen, nehmen die «Freunde» – wie Irene Schubiger sie nennt – mittig im Ausstellungsraum des Kunstraums Satellit Platz. Sinnbildlich stehen sie für die bewusste Komposition von Objekten und Fotografien: Eine Freundschaft unter Alltagsgegenständen.
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IRENE SCHUBIGER – THE TWO OF US
VERPACKUNGSMATERIAL
SCHÜTZEND, WÄRMEND, HALTEND
TRANSPORT, BEWEGUNG, ABER NICHTS BEWEGT SICH
DU UND ICH, WIR HALTEN UNS GEBROCHEN AN DEN HÄNDEN
DER VERKEHR VON THUN ZIEHT IN DER REFLEXION DES FENSTERS VORBEI AN UNS, ÜBER UNS HINWEG
ICH STARRE HINEIN IN EIN FENSTER UND ÜBER UNSER SCHWEIGEN HINWEG
WÜRDE DICH GERNE DINGE FRAGEN AUF DIE ICH KEINE ANTWORT BEKOMM
EIN KESSEL MIT NEONBÜGEL, NICHT MEHR ZUM TRAGEN BEREIT
AUFGEREIHTE BOSTICH-KLAMMERN, FOTOGRAFIERT, GEDRUCKT UND MIT NÄGELN AN DIE WAND GEHÄMMERT
WIR HABEN UNS SCHON OFT FALSCH VERSTANDEN
ZENTRAL, DIE SKULPTUR, EIN MÜLLSACK, PRALLVOLL, EINE GROSSE, ENTLEERTE KARTONKISTE MIT – AUS DEM ASIATISCHEN RAUM STAMMENDEN – SCHRIFTZEICHEN, DIE ICH NICHT ZU ENTZIFFERN WEISS, ALS VERBINDUNG DIESE KARTONRÖHRE. IN DER MITTE GEBROCHEN, AUFGEBAHRT AUF EINEM SOCKEL AUS STYROPOR. SIE SCHAUEN UNS FRONTAL AN, THE TWO OF US.
ICH KANN DICH NICHT ENTZIFFERN
UNSERE NÄHE WURDE VERPACKT UND ZWISCHENGELAGERT
WIR SIND FÜR DEN MOMENT ERSTARRT ALS MATERIAL, DASS FÜR DIE BEWEGUNG GEDACHT WAR
– Aline
Der Ausstellungsraum «Satellit» ist ein ehemaliger Kiosk direkt an einem Kreisel in Thun. Die Aare fliesst nebenan. Der Ausstellungsraum funktioniert wie ein Schaufenster oder eine riesige Vitrine in der urbanen Umgebung.
Kurz vor Mittag: die Menschen eilen nach Hause, um Mittag zu essen, der Kreisel ist gefüllt mit Fahrzeugen, auf dem Trottoir Passant*innen, die mit Hunden spazieren gehen, das Wasser der Aare ist zu hören , ein paar Regentropfen fallen vom Himmel, jemand läuft über die Strasse, der Wind weht, Autos bleiben stecken und fahren dann wieder weiter. Irgendwie charmant, aber auch ein wenig lästig. Das «ich» oder besser gesagt das «wir», das wird hier auf einmal viel wichtiger. Es fühlt sich so an, als würde es mehr um uns (Florian, Aline, Anica) gehen, vielleicht «The three of us»?
Vor dem Schaufenster: wir blicken in die Ausstellung von Irene Schubiger «The two of us». Schubiger entwickelt dreidimensionale Körper aus Styropor, Karton, Plastik, Metalle, Druckpapier und Neon. (Konstant ?) spiegelt sich unser Körper im Glas, die Häuser im Hintergrund, die Autos im Schaufenster, was mir das Betrachten der Arbeit bei Tageslicht erschwert. Mein Gesicht drücke ich an die Glasscheibe, um besser zu sehen. Karton aus Asien und ein Plastiksack aus der Schweiz auf weissem Styropor. Eine Steckdose, die betätigt wird, um den Plastikeimer mit Neon zu betätigen. Grossformatige Fotografien, gedruckt auf Papier, welche Bostitch Einstiche zeigen und verschiedene Textilien, welche auch mit einem Bostich befestigt wurden. Irene transformiert diese Alltagsgegenstände so, dass durch die Platzierung im Raum und durch das Material ein Dialog und so auch ein Spannungsraum entsteht (Wiederholung). Der Titel der Arbeit «The two of us» weist schon darauf hin, dass es sich um eine Beziehung und Erzählung handelt, vielleicht um eine menschliche Emotion.
– Anica
Als ich mir die Ausstellung von Irene Schubiger im Kunstraum Satellit anschaue, stehe ich direkt an der Strasse beim Guisanplatz in Thun. Der Kunstraum kann von aussen durch ein Schaufenster betrachtet werden. An einigen Ausstellungen wird an der Vernissage das Fenster geöffnet, so dass Besuchende auch die Gelegenheit haben sich zwischen den Werken zu bewegen. Da wir nicht zur Vernissage kamen schauten wir vom Strassenrand hinein. In der Scheibe spiegelten sich Passant*innen, Autos, die um den Kreisel fuhren, Architektur, das Wetter und das Logo des Kino Rex. Die Ausstellung liegt da am Ort der Kreuzung, der Brücke über die Aare, wo ständige Bewegung ist und Menschen aneinander vorbeikommen. Dialoge führen vielleicht Schubigers Werke. Immer wieder finden darin Gegenüberstellungen und Annäherungen zwischen Materialien statt. So heisst diese aktuelle Ausstellung «the two of us». Offensichtlich auf diesen Titel anspielend ist zentral im Raum eine Situation ausgestellt, in welcher sich ein prallgefüllter 110l, Schweizer Müllsack und eine ähnlich grosse, japanisch beschriftete Holzkiste, auf einem Sockel gegenüberstehen. Der leicht amorphe Sack und die starre Kiste sind beide mit roten Zeichen beschriftet. Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit und scheinen sich mit einer Kartonröhre, die in der Mitte gerissen ist die Hand zu reichen. Gleichzeitig wird die Röhre, eingeklemmt von Sack und Kiste von den Beiden Gestallten gehalten.
Ein grossformatiges, die Höhe des Raumes etwa zur Hälfte einnehmende Fotografie wurde nur am oberen Rand gehängt, so dass sie an den anderen Seiten von der Wand leicht absteht. Abgebildet sind vier verschiedene Papierstücke mit verschiedenen Strukturen, die auf eine weitere Fläche aufgetackert wurden und leicht über diese hinausragen, in den Rand helleren Rand der Fotofolie hinein. Erst war ich dadurch und durch die vielen Schätten, der fotografierten Objekte wie derer des Fotopapiers auf der Wand, unsicher ob es sich wirklich um eine Fotografie handelt. Irene Schubiger kennt man in der Regel als Bildhauerin und selbst ihre Fotografien von Flächen wirken auf mich sehr dreidimensional.
Eine zweite gleichgrosse Fotografie greift dies wieder auf und zeigt 30 in Reihen angeordnete Tackernadeln, fast regelmässig über die ganze Fotografie angeordnet. Auch hier weichen alle Klammern etwas voneinander ab, stehen in unterschiedliche Richtungen, haben unterschiedliche Schattenwürfe, sind nicht ganz parallel zueinander. Das Bild gibt auf den ersten Blick vor, aus seiner Hängung zu bestehen bzw. tatsächlich an die Wand getackert worden zu sein. Durch die Spieglung im Schaufenster kann ich nicht genau erkennen, wie die Fotoprints tatsächlich gehängt wurden.
Ein drittes Bild zeigt eine weisse Leinwand, welche an der Wand gehalten und eingeklemmt wird von vier metall «Platten», ehrlich gesagt fehlt mir das Wort für diese vier Objekte. Ganz in schwarz heben sie sich deutlich ab von der weissen Wand und Leinwand. Sie wurden so gebogen, dass sie sich an ihren Untergrund anpassen. Alle ragen sie schräg in die Leinwandfläche hinein. Sie passen sich alle anders der Leinwand an und wirken spontan, geschmeidig und schnell gehängt, eher wie Klebeband als wie Metall. Wieder ist die Hängung Thema des Bildes und macht es gleichzeitig zur Plastik.
Weitergetragen von der ständigen Bewegung um den Guisanplatz sind wir dann bald wieder weitergegangen und der Aare gefolgt bis zum Kunstmuseum Thun.
– Florian