«Was kommt denn jetzt noch?» Bestsellerautor Joachim B. Schmidt zu seinem neuen Buch «Tell»7 min read
Reading Time: 5 minutesMit «Tell» ist Joachim B. Schmidt seit Erscheinung des Buches Ende Februar auf Platz Eins der Schweizer Bestsellerliste. Momentan tourt er durch den deutschsprachigen Raum und präsentiert mit seinem Buch eine Neuinterpretation der epochalen Heldensaga. Blitzschnelle Wechsel der Kapitel und Personen. Fetzige Dialoge und ein Held, der eigentlich gar keiner ist. In seiner Version vom Klassiker vermischt sich die Gegenwart mit dem Mittelalter und auch neue Charaktere dürfen Einzug halten.
Am vergangenen Freitag trafen wir kurz vor seiner Lesung den Autoren Joachim B. Schmidt. Es ist kurz nach halb fünf und wir treten in das stilvolle Hotel Beau Séjour ein. Kaum fragen wir nach dem Autoren steht er auch schon hinter uns. Kurze Begrüssung und schon sind wir im Nebenraum. Dort dürfen wir den in Reykjavik lebenden Vierzigjährigen interviewen. Welch eine Freude.
frachtwerk: Dürfen wir mit einer Schnellfragerunde zur Auflockerung beginnen?
Joachim B. Schmidt: (schmunzelt erwartungsvoll) Ja, sicher doch!
frachtwerk: Fondue oder Raclette?
Joachim B. Schmidt: Fondue
frachtwerk: Tarantino oder Scorsese?
Joachim B. Schmidt: (Woooahh! Cut!) Haaa, Tarantino. Ja, doch. Tarantino. Aber schwierig.
frachtwerk: Zug oder Auto?
Joachim B. Schmidt: Definitiv Zug fahren. Zumal ich das hier auch endlich wieder kann. So schön! In Island gibt es keine Züge.
frachtwerk: Apfel oder Banane?
Joachim B. Schmidt: Ganz klar, Apfel.
frachtwerk: Züri- oder Vierwaldstättersee?
Joachim B. Schmidt: Da ich ja nur Pseudobündner bin, muss ich jetzt Zürisee sagen. Da habe ich mehr Bezug zu.
frachtwerk: Aber Luzern kanntest du schon oder bist du hier heute zum ersten Mal?
Joachim B. Schmidt: Nein, ich kenne es noch aus Teenagertagen. Ich hatte eine A-cappella-Band, die «7 Lives» hiess. Wir sind mit ein paar wenigen Instrumenten auf den Zug und haben überall in Luzern gespielt. Ziel war es genügend Geld fürs Znacht, ein paar Bier und das Zugticket für den Heimweg einzusammeln. Hat immer gut geklappt. Zudem habe ich später während meines Studiums als Hochbauzeichner das fantastische KKL kennengelernt. Es gibt einige Bezugspunkte zur Stadt.
«Putin, dieser ‚Topfbrunzer‘, bringt uns nicht zum Schweigen.»
frachtwerk: Blicken wir etwas weiter in die Welt hinaus. Mit dem Beginn des Krieges ist dein Buch herausgekommen. Wie wirkt sich die Situation in der Ukraine auf dich und deine Arbeit aus?
Joachim B. Schmidt: Schrecklich und beängstigend ist das. Kein Zweifel. Aber ich bin nun mal Teil einer Unterhaltungsindustrie und Bücher sollen meiner Meinung nach auch unterhalten. Ich möchte den Menschen mit meinen Büchern und meinen Lesungen einfach eine gute Zeit und etwas Ablenkung bieten. Putin, dieser ‚Topfbrunzer‘, bringt uns nicht zum Schweigen.
frachtwerk: Du lebst jetzt seit 15 Jahren in Island. Mehr als ein Drittel deines Lebens. Was unterscheidet den Isländer von der Schweizerin?
Joachim B. Schmidt: (lächelt) Ha, darüber könnte man auch ein ganzes Buch schreiben. Die Isländer:innen sind neugierig, offen, humorvoll und gesprächig. Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten. Beide sind Inselnationen in Europa. Eine gewisse Distanz zu wahren kann man beiden zuschreiben. Wohingegen die Schweizer:innen mehr multikulti sind, aber andererseits doch konservativer. Klar ist hier auch ein Graben zwischen Stadt- und Landmenschen zu sehen.
«Zug fahren. ‚Das liab i‘!»
frachtwerk: Was vermisst du am meisten, beziehungsweise was fällt dir jetzt hier in der Schweiz auf?
Joachim B. Schmidt: Zug fahren. ‚Das liab i‘! Und klimatisch ist es echt so eine Sache. Also so wie jetzt im März in der Sonne einen Kaffee zu trinken. Das ist einfach nur schön. Die Winter in Island können sehr lange sein.
frachtwerk: Was bedeutet dir denn Heimat, wenn wir schon dabei sind?
Joachim B. Schmidt: Wenn ich in Island bin und ich sag ich geh in die ‚Schwiiz‘, dann sag ich: «Ich geh‘ heim». Wenn ich aber bald am Flughafen steh‘ und zurück nach Island fliege, dann geh‘ ich auch wieder heim. In Island habe ich hart an meiner Heimat geschafft. Das ging sehr langsam und war richtig tough.
frachtwerk: Nun aber zum Buch. Wie kam es zur Idee und Konstruktion?
Joachim B. Schmidt: Auch das war ein langer Prozess. Generell war ich aber immer enttäuscht, wie die Geschichte erzählt wurde. Ich hab Wilhelm Tell immer anders gesehen als er historisch dargestellt wurde. Dann las ich verschiedene isländische Sagen, die mich inspiriert haben. Daraufhin hab ich einige neue Charaktere entwickelt, begann zu schreiben und es hat funktioniert.
frachtwerk: Braucht es denn unbedingt das Original, um dein Werk zu verstehen?
Joachim B. Schmidt: Nein, braucht’s eigentlich nicht. Es macht aber natürlich viel mehr Spass, wenn man das Original kennt.
frachtwerk: In drei Sätzen kannst du dein Buch wie zusammenfassen?
Joachim B. Schmidt: Im Kern geht es um eine Vater-Sohn-Beziehung, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Ich hatte sogar überlegt, das Buch «Vater» zu nennen. Aber das hätte wohl niemand verstanden.
«Was kommt denn jetzt? Hab ich das Ziel erreicht? Will ich mehr?»
frachtwerk: Und sich wohl auch nicht so gut verkauft? Du bist ja jetzt schon seit zwei Wochen die Nummer eins in der Schweizer Bestsellerliste. Wie fühlt sich das an?
Joachim B. Schmidt: Ja, stimmt wohl. Es hätte sich wahrscheinlich nicht so gut verkauft. Ja, hey! Nummer Eins fühlt sich mega schön an. (Ironisch) Ich werde jetzt arrogant und überheblich. (Wieder ernsthaft) Ja, es ist absurd und irgendwie abstrakt. Eigentlich ist es doch bloss eine Zahl. Was kommt denn jetzt? Hab ich das Ziel erreicht? Will ich mehr? Schwierig zu sagen. Aber es ist schon schön. Das wirklich Kuriose ist ja, dass man plötzlich in aller Munde ist. Egal, ob es im Schaufenster der Buchhandlungen ist oder «Tell» plötzlich in Literatursendungen besprochen wird. Man nimmt ja eigentlich unfreiwillig viel Raum und Aufmerksamkeit ein.
frachtwerk: Was würdest du denn heute jungen Autor:innen empfehlen, die eine Veröffentlichung planen? Was wären da Ratschläge?
Joachim B. Schmidt: Ganz klar: Holt euch einen Literaturagenten. Absolut. Wenn ich mir überlege, wie viel Zeit und Energie ich mit Warten bei Verlagen verbracht habe. Nie wieder! Geht zu einer Agentur.
frachtwerk: Kommen wir doch nochmals zurück zum Buch. Wieso ist dein Held eher ein gebrochener Held, quasi in einer «from hero to zero»-Mentalität dargestellt?
Joachim B. Schmidt: Für mich ist er schon auch ein Held. Eben einer, der nicht unfehlbar ist, sondern doch etwas macht. Als bestes Beispiel gilt, wie er seinen kleinen Bruder von einem pädophilen Pfarrer rettet. Das macht für mich definitiv einen Helden aus.
frachtwerk: Die schnellen Wechsel der Ich-Perspektiven, wie sie in deinem Buch vorkommen: Sind die nicht überfordernd? Wie waren da bisher die Resonanzen?
Joachim B. Schmidt: Ja, ist wohl eher ungewohnt. Aber die meisten sagten mir, wenn sie den Rhythmus gefunden haben, dann läuft es.
«Film oder Serie? Definitiv gerne. Aber wenn, dann lieber eine Verfilmung. Eventuell eine Trilogie, aber ein Film wäre mir am liebsten.»
frachtwerk: Aber was dies und den Schreibstil angeht, stellt sich mir eh schon die Frage, ob dieses Buch verfilm werden soll. Du hast doch bestimmt schon Angebote?
Joachim B. Schmidt: Jaja, da gibt es schon Interessenten. Durchaus.
frachtwerk: Und du würdest dich auch über eine Verfilmung oder gar Serie freuen? Drehbuchcharakter hat das Buch durch die vielen Dialoge ja allemal.
Joachim B. Schmidt: Definitiv gerne. Aber wenn, dann lieber eine Verfilmung. Eventuell eine Trilogie, aber ein Film wäre mir am liebsten.
frachtwerk: Eine Drehbuchausarbeitung wäre aber auch noch ein Thema für dich?
Joachim B. Schmidt: Nein, eigentlich finde ich den Roman schon so ausreichend. Da würde ich mir jemanden suchen beziehungsweise es jemandem anvertrauen, der oder die es auch so umsetzt, dass ich mich wohl fühle.
frachtwerk: Lieber Joachim, herzlichen Dank für deine Zeit. Zum Schluss würden wir gerne noch wissen, ob du ein Lieblingswort hast. Es darf auch gerne ein isländisches sein.
Joachim B. Schmidt: (denkt nach) Huch! Ja, da gibt es im Deutschen nicht so wirklich eins. Aber ‚Rassgat‘ wäre es wohl. Das heisst Arschloch auf Isländisch, ist aber liebevoll gemeint. Ein Kosewort! Wirklich wahr.
Titelbild: Eva Schram