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Bubbly Screamo Slutcore und barocker Hyperpop: Lil Mariko und Dorian Electra in der Roten Fabrik7 min read

22. April 2022 5 min read

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Bubbly Screamo Slutcore und barocker Hyperpop: Lil Mariko und Dorian Electra in der Roten Fabrik7 min read

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Am Mittwoch war Dorian Electra in der Roten Fabrik zu Gast – mit Kostüm, Choreographie, bunten Lichtern und Hardcore-Kicks. Vor Dorians genresprengenden Hyperpop-Konzert eröffnet Lil Mariko die Veranstaltung mit Slutcore und gegrowlten Vocals. Ein mitreissender Abend voller Energie, Ekstase und Glitzer.

Das Happening beginnt mit der Rapperin Lil Mariko. Nach anfänglichen Problemen mit ihrem Laptop zückt sie das Handy und spielt davon ihre Tracks ab. Das Set-Up ist also raw, die ganze Performance eher chaotisch. Aber durch ihre eigene Darbietung der Tracks und die Vocals, die sie rappt, spricht, growlt oder schreit, überzeugt die Künstlerin. In ihren Songs legt sie eine für ihr Genre schon fast elementare Attitüde an den Tag, die das Publikum mitnimmt. Spannend an ihrer Musik ist besonders der Bruch zwischen den girly, bubbly Sequenzen und aggressiven, geschrienen Teilen. Genau dies ist auch die Stärke des Konzerts: die Abwechslung zwischen quirligen, poppigen Einlagen und Screamo sowie Aggression.

Kostümwechsel und Regenbogenflagge

Nach kurzer Pause betritt Dorian Electra die Bühne in glänzendem Latexkostüm.

Hörner auf den Schultern, ein grosser spitzer Hut auf dem Kopf. Die ganze Performance ist besonders auch im Vergleich zur lockeren Art Lil Marikos sehr geplant und nochmals extremer in seiner performativen Art: Choreografien, Kostüme, Backup Dancer im Vordergrund. Zweimal verschwindet Dorian plötzlich von der Bühne und ein Interlude ohne Vocals erklingt. Ich meine, Ausschnitte aus Dorians «Square Garden»-Set erkennen zu können. Nach Verwunderung des Publikums erscheint Electra in neuem Kostüm erneut auf der Bühne. Erst in militärischem Look mit Generalshut, danach in stachliger Bowser-Ästhetik, die an Nintendo Games erinnert.

Nach dem ersten Interlude wird Dorian durch die Tänzer:innen Kevin J Zambrano und Starmaxx unterstützt, die mit ihren Choreografien die Performance nochmals intensivieren. Ein besonders epischer Höhepunkt: als Zambrano und Starmaxx die Regenbogenfahne zücken und sie zeremoniell links und rechts von Dorian in die Höhe strecken, die Menge tobt. Musikalisch interessant ist besonders, wie Dorian innerhalb der Songs von Originalversionen auf Edits oder Remixes wechselt.

Insgesamt eine fantastische Performance, stimulierend sowohl musikalisch als auch visuell. Egal, ob man Dorian Electras Sound mag oder nicht – das Konzert ist ein wahnsinniges Erlebnis.

Dorian Electra im Gespräch

Vor dem Konzert durften wir Dorian Electra via Zoom interviewen.

Screenshot der Interviewsituation im Videocall.

frachtwerk: Wann hast du begonnen, Musik zu machen oder zu schreiben?

Dorian Electra: Als ich in der High School war, schrieb ich zum Beispiel für Schulaufgaben oder Schulprojekte – etwa eine Buchzusammenfassung – einfach einen Text über die Melodie eines bereits existierenden Songs. Und da entdeckte ich das Konzept, dass ich komplizierte Ideen abstrahiert und zusammengefasst in einen Song packen kann.

frachtwerk: Und war es schon zu Beginn dieser Stil, dieses Genresprengende, so experimentell?

Dorian Electra: Ich war sicher schon sehr interessiert daran, Genres zu vermischen – zum Beispiel Elektronik mit Rock. Ich hörte da zum Beispiel «Crystal Castles». Und ja, ich machte eigentlich einfach die Musik, die ich überhaupt ausklügeln konnte. Zu Beginn machte ich auch viel Accapella, oder aber ich stapelte einige Vocals in einen Song und bearbeitete sie mit einem Reverb. Ausserdem experimentierte ich mit einem «Casio-Keyboard».

frachtwerk: Und wie komponierst du? Setzt du dich an einen Tisch und schreibst? Schreibst du überhaupt Musik? Oder ist es mehr ein Jam und Ideen, die sich zusammenfügen?

Dorian Electra: Es ist meistens eher Jamming. Ich kollaboriere ja immer mit anderen Künstler:innen, und da beschreibe ich oft einen Mood, in dem ich den Song haben will, oder eine Thematik. Manchmal nehmen wir auch einfach existierende Songs, etwa einen «Black Eyed Peas» Track und mixen ihn mit Beethoven. Meistens beginne ich aber mit Akkorden und spiele sie auf dem Computer, auf einem Midi-Keyboard oder wie auch immer. Da gehen wir dann durch und suchen, bis wir die Kombinationen finden, bei denen wir denken: «Oh ja, das ist es». Dann nehme ich mein Handy und mache Aufnahmen via Voice-Memo von verschiedenen Melodien. Und manchmal kommt eine lyrische Idee. Dann verbinde ich Lyrics mit Melodien, die ich etwa schon bereit habe.

frachtwerk: Viele deiner Songs haben eine sehr extreme Ästhetik, manchmal fast eine Reizüberflutung darin. Gibt es in dieser Stilistik ein Konzept, oder ist das einfach dein Stil, der dich repräsentiert?

Dorian Electra: Für mich ist das einfach der Stil, der mir persönlich am besten gefällt. Ausserdem habe ich ADHS und ich mag es, wenn ich überrascht oder schockiert werde. Auch mag ich Humor in der Musik und «Satisfying Sounds», die beunruhigend zugleich sind.

frachtwerk: Und wo nimmst du deine Inspiration her? Du hast bereits Beethoven, Crystal Castles und Black Eyed Peas erwähnt, oder etwa die Game-Ästhetik. Mochtest du Games?

Dorian Electra: Ja, ich bin mit sehr vielen Gamers gross geworden. Ein Game hält nicht wirklich meine Aufmerksamkeit, aber ich glaube, meine Arbeit als Artist ist für mich wie ein Game, das ich spielen muss. Videogames sind nicht wirklich entspannend oder interessant für mich, aber ich liebe die Ästhetik dahinter. Und weil ich mit vielen Freunden aufgewachsen bin, die sehr begeistert von Rollenspielen und Videospielen waren, war ich doch eher im Debattier- oder im Philosophieclub – also ich war mehr auf der nerdigen Seite.

Mich inspirieren weirde Ecken im Internet und auch Geschichte interessiert mich sehr. Ich schaue mir oft Geschichts-Videos auf Youtube an, weil ich damit lerne. Das Gelernte inspiriert mich wiederum, Neues zu kreieren.

frachtwerk: Apropos Philosophie; du hast ja mal ein Stück über Friedrich Hajek geschrieben. Ist Philosophie oder auch Politik ein fester Bestandteil deiner Musik?

Dorian Electra: Ja, definitiv. Aber ich will einfach klar unterstreichen, dass dies in einer High-School-Phase entstand und ich jetzt total weg bin von dieser Ideologie. Ich finde, Libertarismus und all das ist eine sehr toxische Ideologie und ich bin jetzt links-politisch.

Aber dennoch glaube ich, es war eine gute Phase, die ich durchmachen musste. Diese Ideologie wurde mir von einem Lehrer indoktriniert, und es war fast schon eine Art Gehirnwäsche. Das ist übrigens auch etwas, was mich sehr interessiert; ich schaue mir auch oft Dokumentationen über Sekten an, und ich habe auch Vieles in dieser Art selbst erlebt in jungen Jahren. Ich habe mich verändert, aber für Politik und Philosophie habe ich mich schon immer interessiert.

frachtwerk: Deine Musik hat durch die Ästhetik, die Referenzen und visuellen Aspekte auch humoristische Tendenzen. Denkst du, deine Musik, oder auch Hyperpop im generellen Sinne, ist ernst anzuhörende Musik, oder ist es Satire oder gar Comedy?

Dorian Electra: Ich denke, das ist eine falsche Binarität. Es ist möglich, ernst und auch humoristisch oder satirisch zugleich zu sein. Ich glaube Ironie und Ernsthaftigkeit gehen Hand in Hand. Und die Ambiguität zwischen den beiden ist genau das, was mich interessiert und fasziniert.

frachtwerk: Und denkst du, deine Musik und Hyperpop in Zukunft noch gehört und verstanden werden kann? Oder ist es sehr kontemporäre Musik?

Dorian Electra: Ich kann nicht für andere Künstler:innen sprechen, und auch nicht für die Zukunft. Aber ich glaube, die interessanteste Musik – die am längsten bestehen bleibt – ist diejenige, die sich fortgehend entwickelt, und die nicht in einem Sound hängen bleibt.

frachtwerk: Was denkst du über CharliXCXs Tweet: «rip hyperpop?»?

Dorian Electra: Ich warte immer noch darauf, dass ein Radiosong extreme Verzerrung, Metal-Ästhetik oder heavy Autotune verwendet. Ich warte darauf, dass ein 100-gecs type Song oder ein PC-Music-Hannah-Diamond type Song in den Mainstream kommt. Und sowas habe ich bis jetzt noch nicht im Mainstream gehört.

frachtwerk: Also willst du eigentlich Distorted-Harsh-Noise-Taylor-Swift?

Dorian Electra: Exakt. Wie zum Beispiel Emorap von Soundcloud zum Mainstream kam. Und bis es zu diesem Level kommt, glaube ich nicht, dass es tot ist. Und gerade im Moment ist Hyperpop sehr präsent und sehr online. Alle wollen sich darüber äussern, aber so wie bei allen Trends werden die Leute das Interesse daran verlieren.

frachtwerk: Und zu meiner letzten Frage: Was ist das letzte Lied, dass du dir angehört hast?

Dorian Electra: Ich höre mir in letzter Zeit viele Hardcore Remixes von Coldplay an. Vielen von ihren Tracks sind so gut, besonders auch «Viva La Vida» – den will ich unbedingt covern.

 

Titelbild: Frano Karlovic

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