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Von der Wucht bis zur verletzlichen Offenheit – Das Aargauer Kunsthaus mit «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau…»4 min read

24. November 2022 4 min read

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Von der Wucht bis zur verletzlichen Offenheit – Das Aargauer Kunsthaus mit «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau…»4 min read

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Einundvierzig(!) Künstlerinnen auf kleinem Raum. Dass Frauen in der Kunst lange unterschätzt wurden, ist keine Neuigkeit mehr. Das Kunsthaus Aarau nimmt das Thema erneut auf. Kann man sich da noch überraschen lassen?

Die vertiefte Auseinandersetzung mit der Welt und sich selbst ist eine, wenn nicht die grundsätzlichste, Tätigkeit jede:r Künstler:in. Im Kunsthaus Aarau, ganz zu Beginn der Ausstellung, hängen Werke, die sich dermassen an der Welt reiben, dass sie die kleinen Räume zu heizen scheinen. In ihrer Gesamtheit sind die Frauenfiguren und Abstraktionen, Fotos und Bilder eine körperliche Wucht. Einzeln betrachtet, verströmen sie eine Verletzlichkeit, die mit ihrer Offenheit einhergeht.

Die vergrösserten Polaroidfotos von Hannah Villiger, auf Aluminium aufgezogen, erinnern durch Anordnung und Format an einen Instagram-Feed. Einen düsteren, direkten Insta-Feed von 1980. Katrin Freisagers feministische Porträts aus den 1990ern, Silvia Bächlis Tuschezeichnung ihres Körpers, sie haben mit der über Jahrtausende tradierten und meist manngemachten Darstellung des weiblichen Körpers etwa so viel zu tun wie ein Strauss Zuchttulpen mit einem blühenden Kaktus.
In Miriam Cahns Kohlezeichnungen «Morgengrauen», Marianne Eigenheers Abstraktionen und Leiko Ikemuras schemenhaften Gestalten verschwimmen die Körper, diffuse Gefühle treten in den Vordergrund.

Thematisch abgeschlossen werden die lebendigen Körper und ruhelosen Geister durch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod: Alis Guggenheims ruhiges Gemälde, «Die tote Freundin» und drei kraftvolle, existenzialistische Porträts von Ella Lanz. Das eine ähnelt dem typischen «der Tod und das Mädchen» Motiv, es handelt sich hier aber ganz klar um den Tod und die Frau.
Im dritten Ausstellungsraum, «Frauenzimmer», Wohnräume. Nach den persönlichen Porträts scheinen mir diese Stillleben jedoch wenig ausdrucksstark. Sie wirken distanziert, auch wenn eines von ihnen Meret Oppenheims ungemachtes Bett zeigt. Nur eine Art Altar in speziellen bunten Grautönen erregt meine Aufmerksamkeit, ein Ölgemälde von Annemarie Balmer.

Ella Lanz (1932–2009), Ohne Titel, 1980 Öl auf Leinwand, 140 x 90 cm Aargauer Kunsthaus, Aarau / Depositum der Sammlung Andreas Züst / Foto: Zoe Tempest, Zürich

Ein kleines Zimmer mit drei Durchgängen, in der Mitte dieses Zimmers, eine geisterhaft schimmernde Tür. Massiv und schwerelos zu gleich. Sie wurde vom Original von Heidi Bucher nach ihrem speziellen Verfahren der «Einbalsamierung» abgezogen und hängt mitten im Raum. Ich (oder man?) fühlt sich wie im Gang eines verlassenen Wohnhauses.

Dazu passt, dass der kleinere der anschliessenden Räume von Fotos aus Manons Serie «Hotel Dobres» besetzt wird. Betonwände, Pin-up-Girl und eine zugemauerte Tür, die Atmosphäre der Ausstellung wechselt von Raum zu Raum. Gegenüber der Gespenstertür ein Zimmer voller unkonventioneller Selbstporträts.

MANON (*1940), Die graue Wand oder 36 schlaflose Nächte, 1979 Silbergelatineabzug, 24 x 17.6 cm Aargauer Kunsthaus, Aarau / Depositum der Sammlung Andreas Züst © 2022, ProLitteris, Zürich / Foto: Zoe Tempest, Zürich

Wie in einer Küche fühlt man sich im nächsten Raum. Hier machen sich Künstlerinnen ihren Alltag zu eigen. Collagen aus Biskuits, Tellern, Faden und Knöpfen pinnen ein altmodisch häusliches Ambiente an die Wand, akribisch ausgefächert. Daneben ein handgemaltes Kochbuch in satten Farben und ein Ouija Bord von Dorothy Iannone. Auch drei ihrer «People» werden gezeigt. Kleine Holzaufsteller, deren Genitalien das Kunsthaus Bern 1970 mit Klebeband zensieren wollte, worauf Iannone die Ausstellung abbrach. Daneben realistische gemalte Gegenstände aus Alltag und Kindererziehung von Donatella Maranta.

Den grössten Kontrast zum körperlichen, dichten Start der Ausstellung bildet der Raum voller leichter, hoher Werke, die eine gewisse Verträumtheit ausstrahlen. Ein Nest mit Füssen, ein Kasten voller ungewöhnlicher Insekten aus Blättern. Sie heissen «Etterlinge», in Anspielung auf den Namen der Künstlerin und sind meine persönlichen Lieblinge.

Daneben Statuen aus dem Niemandsland zwischen Figur und Abstraktion auch von Olivia Etter. Meret Oppenheims Tischchen mit Vogelfüssen, zwei Collagen von Suzanne Bauman einige kleine Zeichnungen von Louise Bourgeois passen gut dazu. Die Ausstellung schliesst mit einem Raum voller abstrakter Kunst, hauptsächlich von Sophie Teuber Arp.

Sophie Taeuber-Arp Passion de lignes (Lignes de printemps, lignes ondoyantes, plans remplis), 1941 © Privatbesitz, Depositum Aargauer Kunsthaus, Aarau / Foto: Zoe Tempest, Zürich

Das Kunsthaus zeigt Werke von Künsterinnen jeglicher Stilrichtungen, die mit verschiedensten Techniken zu unterschiedlichsten Zeiten arbeiteten. In einer Broschüre, die man für die Dauer des Besuches ausleihen kann, darf man sich kurz in die Biografien einlesen. Familienmenschen und Einzelkämpferinnen, mit Freundeskreisen aus illustren Gestalten der internationalen Kunstszene oder aus dem schweizerisch bürgerlichen Milieu, 41 Frauen insgesamt.

Die Ausstellung sucht nicht nach dem spezifisch Weiblichen der Werke, es gibt kein Fazit, kein Programm. Die Antwort auf die ungestellte Frage, die sich wohl jede:r Besucher:in etwas anders stellt, steht am Anfang. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau… dem wird nichts mehr hinzugefügt.

«Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau» ist im Kunsthaus Aarau zu sehen bis zum 15.1.23, Eintritte regulär 17 CHF, reduziert für Leute in Ausbildung bis 26 Jahre/ IV: 12 CHF

 

Text: Fiona Odermatt
Beitragsbild:
Katrin Freisager (*1960), Pipilotti, 1995
CPrint auf Aluminium, 167 x 82 cm

Aargauer Kunsthaus, Aarau / Depositum der Sammlung Andreas Züst
Foto: Zoe Tempest, Zürich

 

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