Berliner Schule – Der nüchterne Beistand zum stillen Elend3 min read
Reading Time: 3 minutesMitte der 90-er bildet sich im Kreise verschiedener Studierenden der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) ein neuer Stil des deutschen Kinos der eine «ernsthafte Ästhetik» und ein auflösen verschiedener Erzählformen vorantreibt.
Entstehung des Stils
Nach dem Tod Rainer Werner Fassbinders, und einem unter anderem damit abklingenden Stils des Neuen Deutschen Films, war Ende der 80er Jahre ein Raum offen für neue Denker:innen des deutschen Kinos. An der DFFB bildete sich ein Kreis verschiedener Student:innen die Filme diskutierten und gemeinsam entwickelten. Die zentralen Figuren dieser Gruppierung waren Angela Schanelec, Christian Petzold und Thomas Arslan. Einer ihrer Dozierenden Dominik Graf beschreibt ihren Stil damit, dass sie mit einer erneuten ästhetischen Ernsthaftigkeit arbeiteten, jede Einstellung, jede Sequenz ist genau konstruiert und exakt diskutiert und durchdacht. Stilistische Vorbilder und breit diskutiert von den drei ersten Filmemacher:innen der stilistischen Bewegung, sind besonders der italienische und der französiche Neorealismus.In einer zweiten Welle des Stils treten neue Namen in den Kreis dieser Berliner Schule hier im Zentrum besonders Ulrich Köhler, Maren Ade, Christoph Hochhäusler und Valeska Grisebach
Stil / Motive / Erzählform
Die Motive der Filme sind grundsätzlich immer ähnliche und verwandt in dieser ersten Entwicklung aber der Fokus ist unterschiedlich; bei Petzold schwebt besonders das Gefühl der Bedrohung oder der Identitätsverlust zentral vor, wo bei Angela Schanelec Einsamkeit die stärkste von den Figuren gefühlte Emotion ist. Bei Thomas Arslan ist anders als bei den anderen Filmemacher:innen die Veränderung oder besonders die Suche nach Veränderung zentral.
Die Erzählform und das Narrativ der Filme zeichnet sich besonders durch eine eine nüchterne Betrachtung aus, die Erzählweise ist nicht relevant im Film, die Zuschauenden werden nicht beachtet, es werden sparten ausgelassen, wie beispielsweise der Überfall in Marseille (2004) und grundsätzlich entsteht durch das Narrativ keine emotionale Stimmung. Man wird als Zuschauende:r nicht miteinbezogen, Figuren drehen der Kamera den Rücken zu, wenden sich ab, sind somit quasi von einer narrativen Perspektive emanzipiert. Dadurch wird es schwierig sich mit ihnen zu identifizieren, die Empathie den Figuren gegenüber wird damit fast schon stilistisch verhindert, eine Beziehung zu ihnen erschwert.
Genau das macht diese Filme aber spannend, es wird natürlicher und realer, als würde man im Zug ein Gespräch mitlauschen oder einen Streit auf der Strasse mit ansehen. Aber durchgehend werden Konflikte eher klein gehalten, es sind sehr weltliche Szenarien, die hervorgebracht werden, die Konflikte sind nicht fern erscheinen nicht exotisch, fast schon trocken erscheint so ein Werk.
Wo aber doch eine gewisse Empathie oder ein «Sich hineinversetzen können» entstehen könnte ist in der Frustration. Wo die Figuren Veränderung suchen und in vermeintlich neues flüchten wollen, ist diese Veränderung anders als erwartet oder gänzlich unauffindbar. Es wird keine positive Alternative zu ihrem gegenwärtigen Lebensstil gestellt. Genau dies ist eine Ebene auf der Zuschauende sich auf irgendeine Form damit verknüpfen können. Es gibt keinen «Weg des Helden» keine Exposition und erst recht keine Auflösung eines Konflikts. Die Handlung erscheint und dies bewusst, natürlicher und doch in ihrer narrativen Ablehnung der Rezipient:innen gegenüber zugänglicher, zwar nicht verständnisvoller aber verständlicher.
Relevanz und zeitgenössische Einschätzung
Insgesamt hat die Berliner Schule des deutschen Kinos einen bedeutenden Einfluss auf die Filmkultur und -geschichte des Landes gehabt. Durch ihre experimentelle Erzählweise und ihre ästhetische Ernsthaftigkeit haben die Filmemacher:innen dieser Bewegung neue Wege im deutschen Kino aufgezeigt und eine eigene Handschrift etabliert. Obwohl die Filme der Berliner Schule nicht immer einfach zugänglich sind und sich von konventionellen Erzählweisen abheben, haben sie einen unverwechselbaren Stil und eine eigene Faszination. Die Berliner Schule des deutschen Kinos hat gezeigt, dass es möglich ist, auch abseits von gängigen Erzählformen und traditionellen Konventionen des Kinos innovative und anspruchsvolle Filme zu produzieren.
Insgesamt hat die Berliner Schule des deutschen Kinos eine wichtige Rolle in der Geschichte des deutschen Films gespielt und wird auch in Zukunft weiterhin inspirieren und begeistern.
Bild:
Filmstill: Montag kommen die Fenster (2006) – Ulrich Köhler
https://www.filmgalerie451.de/de/filme/montag-kommen-die-fenster