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Der 27. Blick – Ein Winkel aus der nahen Fremde #2 – «Kriens, nicht Krieg»7 min read

27. Februar 2023 5 min read

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Der 27. Blick – Ein Winkel aus der nahen Fremde #2 – «Kriens, nicht Krieg»7 min read

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Unser Autor ist Wahlluzerner. Als Deutscher in der Zentralschweiz erzählt er uns von seinem Blick auf unseren Kosmos. Eine Geschichte aus dem 27. Kanton, die von  Joints, Haaren und Kulturschock handelt.

 Text von Matheus Ventura Lang

Leistungsdruck schafft Angst

Die Prüfungsphase naht. An der Steinhofstrasse – im Studierendenwohnheim – herrscht eine gewisse Stille. Die Mitbewohner:innen schleichen rasch in ihre verschlossenen Zimmer wo sie sich zwischen Büchertürmen verstecken, untertauchen und sich von der gängigen Sozialwelt unserer WG fernhalten – zumindest bis der Prüfungsstress vorbei ist. In der aussergewöhnlichen Ruhe meiner Wohnung werden meine Gedanken laut. Manchmal ist das innere Summen in der Lautlosigkeit meines Umfeldes unerträglich. Ich tu mich öfters schwer mit meinen eigenen Überlegungen «Gott und der Welt» zusammenzuleben. Und dann kommen die Panikattacken, die mich wochenlang drangsalieren und mich meinen inneren Qualen begegnen lassen.

Die Lösung liegt in der Medizin

Der Luzerner Psychiater empfiehl mir CBD um mit dem von mir selbsverursachten Chaos besser umzugehen. Anders als in Deutschland müsste er es mir gar nicht verschreiben, da es in der Schweiz inzwischen als gängiges Lebensmittel gilt und bei vielen Kiosks bundesweit erhältlich ist. Ich nehme den Fahrstuhl Richtung Erdgeschoss und setz mich auf einem Betonblock vor dem Gebäude. Meine Gedanken sind weit entfernt, irgendwo zwischen unpraktischen philosophischen Angelegenheiten und den – manchmal rauen – Tatsachen, denen man im Leben begegnen muss, wenn man seinen «Platz an der Sonne» finden will. Ich frage mich ständig welcher der Pfad sei zu einer Glückseligkeit, die in meinem Leben von existentiellen Zweifeln eines jungen Mannes überrumpelt wird. Ich bin mir nicht sicher in meiner eigenen Rolle im Grossen und Ganzen dieser Welt.

Rauschgefühle

Ich ziehe einen fertiggedrehten CBD-Joint aus der Zigarettenschachtel, die im Innenfach meiner Lederjacke liegt. Ich hatte in meinem Leben nie gelernt Zigaretten zu drehen und war dafür auch zu faul. Kiffen war auch nicht ein Teil meines Alltags. Ich war bereits zufrieden mit dem Klosterbräu Bier der bekannten Luzerner Brauerei, welche die Landschaft meines Wohnheimes subtil prägt. Ein Tropfen industrieller Revolution im idyllischen Alpenhintergrund. Das Rauchen dieses Joints war also strikter Zweck eines von mir meist ersehnten Zieles: Die innere Ruhe wieder zu erlangen. Nicht nur der deutlich riechbare Duft des Joints zeichnete mein Umfeld zu diesem Zeitpunkt aus, sondern auch der Geruch verbrannter Gersten, der aus den Schornsteinen der Brauerei ausdünsten. Die Mischung an Aromen, die meine Sinnesorgane herausforderte, schuf in mir eine seltsame Unerschütterlichkeit. Vielleicht waren es aber einfach die chemischen Substanzen, die langsam in meinem Körper wirkten.

Kulturschock und mangelnde «social skills»

Als ich den Blick auf das Hier und Jetzt – von den Tagträumereien und dem üblichen Schwachsinn – wiedergewonnen habe, fällt mir auf, dass ich mich nicht allein befinde. Ein paar Meter vor mir hockt ein junger Mann mit Trainingsanzug und fetten Kopfhörern. Er dreht sich eine Kippe, während er kurz zu mir winkt. Neben ihm ein riesiger Koffer. Ich kannte ihn nicht und ging davon aus, dass er einer der Bewohner des Wohnheimes sein musste. Es ist relativ gross und manchmal erweckt es den Eindruck unüberschaubar zu sein, was die Anzahl der bewohnenden Studierenden angeht. Wir sprachen nicht miteinander. Ich war zu sehr in meiner Welt versunken und er in seinen fetten Kopfhörern. Ein gängiges Geschehnis, diese kurze Begegnung. Der Schultergurt seines Rucksacks, wie ich dachte, war aber eigentlich der Riemen eines Sturmgewehrs, welches er auf dem Rücken trug. Ein Sturmgewehr mitten im Gelände des Wohnheims.

Haare sind mehr als Haare

Wie würden wohl meine Mitbewohner:innen – die alle Austauschstudierende sind – in einer solchen Szene reagieren?, fragte mich als mir endlich klar wurde, was Sache war. Wer genug in den Zügen und Bahnhöfen der SBB bummelt, dem wird schnell bewusst, dass Männer in getarnten Uniformen in der Schweiz Gang und Gäbe sind. Der Wehrdienst ist noch stets ein Bestandteil des eidgenössischen Bürgerbewusstseins. Ich gestehe, dass ich es immer interessant und gleichzeitig witzig fand, wie viele der Soldaten lange Haare und Bärte tragen dürfen. Es vermittelte mir fast den Eindruck die Schweiz hätte eine Armee lauter Guerilleros, denn die einzigen Bilder, die ich im Kopf hatte vor diesen Begegnungen, waren jene von Kämpfern Kubas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Trotz der ausgeprägten Behaarung schien mir das Bild dieser jungen Männer aber zu bürgerlich und straff, um mit Revolutionären verglichen zu werden. Wenn ich an meinen kurzen tragischen Aufenthalt bei der Bundeswehr denken muss, springt mir die traurige Erinnerung sofort ins Auge, als ich für die Grundausbildung meine ebenfalls langen Haare komplett rasieren musste. Es war ein trauriger Tag. Die Haare waren für mich mehr als Haare. Sie waren ein Zeichen meiner Identität, bzw. Einzigartigkeit, die jeder von uns in dieser Welt hat. «Der Bund» erinnerte mich mit der damaligen Tat bloss daran, wie aus Individuen ein Zug von gleichzusehenden uniformierten Soldaten entsteht.

Yes sir, no sir!

Ich war nie ein guter Soldat. Die Kürze meines Dienstes ist Zeuge meines mangelnden Talentes Befehle zu horchen. Vor allem, wenn man nicht nach dem Sinn jeglicher Aufgaben fragen darf. Vielleicht genau, weil «Warum-Fragen» mich immer so interessiert haben, habe ich die Philosophie als Studienfach gewählt. Aber l’Armée Suisse ist anders als die deutsche Bundeswehr. Sie beanspruche das zu verkörpern, was für uns Deutschen relativ exotisch und fremd klingt: das Milizwesen. Das Milizwesen ist u.a. der Grund warum die Soldaten in der Schweiz landesweit vollbehaart rumlaufen dürfen. Es beabsichtige den Bürger von der Nähe zwischen Zivilbevölkerung und Staat bewusst zu machen. Als sei der Staat nicht was per se, sondern ein Ergebnis des Pflichtbewusstseins zur Bürgerlichkeit, die letzten Endes im republikanischen Geist des Rütlischwurs kulminiert.

Worte gegen Waffen

Der Krieg spukt uns Europäer:innen – bedauerlicherweise – immer wieder mit seiner Irrationalität und Gewaltlust. Wenn ich an die Funktion einer Armee denke, kommen mir immer wieder die Worte in den Kopf des vermutlich berühmtesten Kanoniers der schweizerischen modernen Geschichte: Der zürcher Schriftsteller und Dramatiker Max Frisch.

Frisch diente der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkrieges. Aus dieser Erfahrung entstanden später während seiner ganzen Karriere als homme des lettres bekannte Werke, die sich kritisch mit der Rolle der Armee in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Sein letztes Werk, das die Thematik umfasst, entstand 1989 kurz vor seinem Lebensende unter dem Titel «Schweiz ohne Armee? – Ein Palaver». Ein Werk, in dem der Autor, in der Rolle einer alten Hauptfigur, entschieden für die Abschaffung dieser Institution plädiert. Eine solche politische Frage ist äusserst Komplex und würde die Rahmenbedingungen dieses Schreibens weitaus sprengen. Ausserdem würde ich mir in der Rolle eines Ausländers und rein Beobachter eidgenössischer Sozialphänomene das Recht nehmen, mich von der Frage zu enthalten. Was ich aber mit der Erläuterung beabsichtigte zu betonen, ist, dass in einer Art und Weise oder in anderer, sich diese Institution öfters präsent macht im Leben der Menschen, die in dieser Alpenrepublik wohnen.

Das Leben ist kein Kuchen

Aus meinen eigenen Erfahrungen und der Geschichte meines Heimatlandes habe ich gelernt, dass es Alternativen gibt zu den Angeboten von Streitkräften, wenn es um die Frage geht ein Sinn für das Gemeinbürgerliche und Solidarische in Mitbürger:innen zu erwecken und entwickeln. Wenn mir die Armee irgendwas als Lehre hinterlassen hat, ist es wie man gewisse Dinge nicht tun sollte. Es sind aber auch meistens schlechte Erfahrungen, die uns zu Geisteszuständen bringen, die uns schliesslich zu einer Weiterentwicklung führen in Richtung einer Glückseligkeit. Es gibt kein Kuchenrezept um sich mit dem Tragischen im Leben zu befassen. Jede:r entwickelt den eigenen Pfad, in dem man das Rad des Lebens weiterdreht. Das Begehbare muss stets wieder erkundigt werden und Hürden und Hindernisse gehören einfach dazu. Ich weiss nicht, ob ich jemals den Frieden schliessen werde mit gewissen Gedanken in meinem Kopf. Was ich aber weiss, ist, dass ich aus unglücklichen Erfahrungen immer wieder was Neues lerne.

 

 

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