Alle gegen Studierende – ein Anfang4 min read
Reading Time: 3 minutesAlle hassen sie, die Studierenden. Die eingesessene Medienlandschaft hierzulande mit ihren kriegerischen Artikeln gegen Studierende ist dabei nur die Spitze des Eisberges. In einer Serie von Artikeln möchte ich diesen Hass der Gesellschaft gerne erkunden – dies ist dafür die Einleitung.
Text von Severin Kessler
In einer Streitschrift der Situationistischen Internationale, einer linkskommunstischen Gruppe europäischer Künstler:innen und Intellektuellen, welche die Ereignisse von 1968 in Frankreich wesentlich beeinflussten, wird gleich zu Beginn beschrieben, wie Studierende neben «dem Polizisten und dem Priester» wohl die meistgehassten Wesen der französischen Gesellschaft seien. Ähnliches gilt wohl auch für die Schweiz der Gegenwart, obschon hier «Polizisten» als auch «Priester» ein höheres Ansehen geniessen, als im Frankreich der 60er-Jahre und somit auch klar über den Studierenden stehen.
Was braucht unsere Gesellschaft eher?
Es geschieht nicht selten, dass wir sowohl in etablierten und hochangesehenen Zeitungen, die auch im Ausland gelesenen werden, als auch in Parteipropaganda, die sich als Satiremagazin ausgibt, wie auch in Gratiszeitungen über Artikel stolpern, die gnadenlos Studierende attackieren. Und natürlich nicht einfach nur irgendwelche Studierenden: Besonders jene, die sich für ein Studium der Künste, der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften entschieden haben, befinden sich im Visier der Medienlandschaft.
Denn was benötigt wohl unsere Gesellschaft eher, die neuste vollautomatisierte Vernichtungstechnologie, eine Neuerfindung des Zuges, dieses Mal aber individualisiert und unnütz, neue Statistiken und Methoden der Bevölkerungskontrolle und Ausbeutung, die autonome Künstliche Intelligenz im Automobil, die darüber «entscheidet», wie wertlos das Leben von Fussgänger:innen ist, noch mehr Jurist:innen oder dann doch ein wenig Kultur und das Bisschen Geist, das unsere Institutionen (mehr schlecht als recht) «hervorbringen»?
Nur ausgeteilt
Die Antwort der bürgerlichen Medien scheint klar, sonst würde es gar nicht erst zu diesem verbalen Schlagabtausch kommen. Dabei kann allerdings kaum von einem Schlagabtausch gesprochen werden, da ein solcher eigentlich gar nicht stattfindet. Denn dazu müssten die Angegriffenen selbst in den Medien, wo der Angriff begann, oder zumindest in solchen die eine ähnlich grosse Plattform haben, ebenfalls eine Stimme bekommen – was schlicht nicht der Fall ist.
Ab und wann sehen sich einige Professor:innen oder Dozierende durch den scharfzüngigen Ton der Angriffe dazu gezwungen, das Studieren zu verteidigen und bekommen mit ein wenig Glück auch die Plattform dazu. Das ist durchaus erfreulich, aber kaum ein Trostpflaster.
Kurz: Es werden keine Schläge abgetauscht, sondern nur ausgeteilt und Studierende dürfen einstecken und sind gezwungen brav die Schnauze zu halten.
Was wollt ihr sonst noch?
Die genannten Studierenden seien faul, verwöhnt und arbeiten nicht, konsumieren Drogen, ja kommen sogar bekifft in die Lehrveranstaltungen (als ob das nicht vornehmlich zeigt, wie langweilig die Lehrveranstaltung ist) und würden mit Absicht nur Fächer und Disziplinen studieren, die möglichst nicht ertragreich sind.
Als ob das universale Ziel eines Studiums sei, schlussendlich möglichst viel Geld zu machen. Bürgerliche verwechseln hier das Studieren mit Kryptospekulationen und anderen Formen des Glücksspiels. Ein derartiger Vorwurf wirft mehr Licht auf diejenige Person, die ihn äussert. Ganz ehrlich kann ich sagen, ich möchte mir keinen Lebensplan machen lassen von einer Person, die nichts anderes im Leben kennt als Geld.
Doch wenn mensch studiert ist das eigentlich bereits Realität: Universitäten und Hochschulen sind längst der Kapitalproduktion nachempfunden und sind integriert in die Mehrwertproduktion, worunter Institution, Dozierende und Studierende allesamt zu leiden haben. Studierende sind gezwungen unbezahlte Praktika zu machen und die Serviceindustrie, wie auch Kulturindustrie an allen Ecken und Enden zu ergänzen. Dozierende wie Studierende finden sich jeweils gleichermassen in einem erbarmungslosen Konkurrenzverhältnis wieder und Private finanzieren bereits ganze Fakultäten. Und im Studium geht es nur noch um das Akkumulieren von Credits.
Es ist offensichtlich: Kapital beherrscht bereits die Universitäten. Was wollt ihr also sonst noch?
Doktor Frankenstein ist unzufrieden mit seinem Monster
Einst war es ein Zeichen des minimalen Respekts und der Anerkennung, eine Person, die auf dem Boden liegt, nicht auch noch zu treten. Es scheint, dass nicht einmal dieser minimale Respekt den Studierenden gegenüber aufgebracht werden kann.
Scheinbar ist Doktor Frankenstein wohl unzufrieden mit seinem Monster. Aber weshalb? Wieso sind Studierende so verhasst und warum kommt es in den eingesessenen Medien so gerne zu regelrechten Offensiven, teilweise gar von Dozierenden selbst, gegen Künste, Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften?
Ein besseres Dasein aller
Dies soll als kurzer Einstieg in eine Erkundung dieser Frage über mehrere Artikel betrachtet werden. Das Ziel dieser Artikel soll aber nicht sein Studierende und somit auch ihr elendes Dasein und ihre gesellschaftliche Stellung zu verteidigen, da dies schliesslich nur eine Rechtfertigung des Status quo darstellen würde.
Stattdessen hätte ich gerne, dass die Artikel als ein Versuch gesehen werden, als Studierender der Bedingungen des Studierens und des Studierenden-Seins nachzugehen und damit zu zeigen, dass es nicht so sein müsste, wie es ist. Vielleicht offenbart und erschliesst sich gar ganz teppichhaft ein besseres Dasein. Denn ein anderes Leben ist möglich.
Bild: Universität Luzern (zVg)