«Dass meine Musik gehört wird, ist immer noch etwas, was mich überrascht und flasht» – Chewlie im Interview6 min read
Reading Time: 4 minutesDie Luzernerin Julia Häller veröffentlicht unter ihrem Künstlerinnennamen Chewlie ihr zweites Album «Diagon». Im Januar gewann sie mit «Creature» den Kickass Award Best Album des Radio 3Fachs und war letztes Jahr bei der Demotape Clinic in den oberen Rängen mit dabei. Wir trafen uns mit ihr und redeten über ihre Verbindung zur Natur, Wachstum, Anerkennung und Musik als Recherche Tool.
frachtwerk: Dein zweites Album kam vergangenen Freitag über das Berliner Label BRUK heraus. Was hat sich für dich seit deinem letzten Release verändert?
Chewlie: Sehr vieles. Das Thema Musik ist nochmals viel grösser geworden. Da ich im Sommer mein Studium abgeschlossen habe, konnte ich mehr Zeit in die Musik investieren. Mein erster Release «Creature» hat viel Anklang gefunden und es ergaben sich so viele tolle Möglichkeiten zu spielen und Erfahrungen zu sammeln. Das hat viel Energie generiert zum weiter produzieren.
frachtwerk: Das neue Album ist basslastiger und zeigt uns eine neue Power. Hast du das Gefühl, da du auch selbst als DJ unterwegs bist, dass du deine Musik an den Clubsound angepasst hast?
Chewlie: Ich habe das Gefühl, ich steh auf der Schwelle der Clubmusik. Mit «Creature» kam ich vom Wald und habe in den Club reingeschaut und jetzt mit «Diagon» stehe ich ein bisschen weiter drinnen im Club (lacht). Während der Entstehung des Albums war ich auch mehr unterwegs und habe gespielt, was vor «Creature» gar nicht der Fall war. Das hat meine Musik sicher auch beeinflusst.
frachtwerk: Was braucht es für dich, damit du produzieren kannst?
Chewlie: Nicht viel. Es braucht einen gewissen Raum und Ruhe, um mich darauf zu konzentrieren. Eine Arbeitslust und Motivation habe ich immer. Und natürlich ist es schön, wenn man sieht, dass die Menschen darauf reagieren und meine Arbeit eine Resonanz erhält. Dass meine Musik gehört wird, ist immer noch etwas, was mich überrascht und flasht.
frachtwerk: Auf deinem ersten Album «Creature» spürt man fest deine Verbindung zur Natur, inwiefern hat sie einen Einfluss auf deine Arbeit?
Chewlie: Sehr fest. Ich glaube ich übernehme unbewusst vieles, was ich in der Natur beobachte. Auf «Diagon» ist der Fokus sicher mehr auf der Perkussion, aber auch darin findet man organische Elemente. Es interessiert mich, wie ich in der Perkussion, welche eigentlich sehr aus der Wiederholung besteht, etwas Organisches entwickeln und somit eine Geschichte erzählen kann. Eine organische Herangehensweise und die Erzählung beschäftigen mich sehr. Ich bin schnell ein bisschen gelangweilt beim Produzieren. Es muss sich entwickeln und weiterwachsen. Wachstum ist etwas, was mich in der Natur interessiert und somit auch in der Musik.
frachtwerk: Aber Wachstum bedeutet ja auch, dass es nie gesättigt ist. Hast du das Gefühl auch?
Chewlie: Ja schon. Ich mache einen Track und der ist dann fertig, aber meine Recherche ist es nicht. Ich kann immer einen Aspekt in einem Track zusammenfassen oder ausdrücken, aber das, was ich empfinde, braucht immer wieder ein neues Gefäss. Es geht immer weiter. Meine Energie und das Interesse daran neue Techniken oder auch Genres miteinzubeziehen scheint endlos.
frachtwerk: Du hast das Wort Recherche benutzt. Ist Musik für dich ein Tool das Leben zu erkunden?
Chewlie: Ich verarbeite, dass sich ständig alles bewegt und was ich Ausdrücke ist wie eine Verdauung dieses Gefühls. Etwas, was ich unbewusst wahrnehmen, ob zwischenmenschliche Sachen, Dinge in der Natur oder auch andere Musik, verarbeite ich in einer kleinen Erzählung.
frachtwerk: War die Resonanz von anderen Menschen am Anfang deines musikalischen Schaffens ein Ziel?
Chewlie: Der Ehrgeiz ist sicher beeinflusst von diesem Gefühl von Anerkennung oder Anklang finden. Wenn alles, was du kreierst, abgelehnt werden würde, steht es ja nicht in einem Dialog mit den Menschen. Die Anerkennung spielt demnach schon eine Rolle, aber ich merke auch, dass es meine Kreativität blockiert. Ich werde verkrampft und habe das Gefühl, dass ich nach jemanden spezifischen tönen muss, welche ich oder andere mega bewundern. Der Flow verfälscht sich dann. Dann muss ich kurz Pause machen und mich daran erinnern, dass die Musik etwas Persönliches ist und nicht etwas, was ich fabrizieren muss, nur damit andere darauf reagieren und ich Anerkennung geniessen darf. Ich kann und möchte mich nicht an Anerkennung festhalten. Aber trotzdem möchte man es sicher geniessen, annehmen und es ist ein schönes Gefühl auch sagen zu können «ich bin stolz auf mich». Es ist immer wieder ein hin und her.
frachtwerk: Ist das auch etwas, was du mitnehmen konntest von deinem Fine Arts Studium an der HKB?
Chewlie: Ja das hat mich sicher geschult. Man wird dort halt sehr fest einer Szene ausgesetzt gleichzeitig aber auch dir selbst. Es ist einfacher dich nicht zu vergleichen, weil ich gemerkt habe, dass niemand das Gleiche macht wie ich. Aber der Druck ist sicher präsent. Gegen Ende des Studiums habe ich immer wie mehr verstanden, dass es keinen Sinn macht sich zu vergleichen und wie fest es auch meinen Flow beeinträchtigt. Es ist sicherlich immer noch ein Lernprozess.
Bei mir merke ich auch, dass ich so ein breites Interesse an Musik und Genres habe, dass ich am liebsten alle irgendwie in meine Musik miteinpacken möchte, ich mir aber eingestehen muss, ich muss und kann nicht alles. Ich muss nicht in allen Flüssen fischen (lacht).
frachtwerk: Von welchem Featuring oder Kollaboration träumst du?
Chewlie: Stimmlich fände ich schön mit Chuddny oder Oklou. Vor allem einfach mit Menschen, die melodischer arbeiten als ich. Das berührt mich persönlich sehr und fände ich spannend. Oh mein Gott, oder mit Eartheater! Und vor allem mit einer FINTA* Person.
frachtwerk: Ist dir das wichtig und wie beobachtest du das in der Szene?
Chewlie: Es ist mir wichtig, ja. Ich finde es schön, dass meine Booking Agentur rein weiblich ist und es ist schön mit meiner Schwester Elin aufzulegen. Die Szene ist nach wie vor so männerdominiert und an vielen Events war ich die einzige FINTA* Person. An meiner Release Show kommenden Donnerstag war es für uns absolut klar, dass wir ein reines FINTA* Line-up haben.
frachtwerk: Als abschliessende Frage: Was dürfen wir von dir erwarten dieses Jahr?
Chewlie: Ich spiele an ein paar Festivals im Sommer (unter anderem am B-Sides in Kriens). Ein paar Compilations Tracks werden kommen und im Herbst/Winter ist wieder eine kleinere EP geplant.
frachtwerk: Wir sind gespannt. Vielen lieben Dank für deine Zeit.
Kommenden Donnerstag präsentiert Chewlie ihr neues Album im SoSo Space in Bern. Vor ihr wird Magda Drozd spielen und Elin wird nach Chewlie mit einem DJ Set den Abschluss machen. Um 21 Uhr werden die Türen geöffnet.
Hör dir bis anhin Diagon an!
Bild: Milena Müller