„Es geht um die Idee frei zu bleiben“ – Interview mit Muovi Pussi an der Bad Bonn Kilbi 20239 min read
Reading Time: 6 minutesWir trafen uns mit Muovi Pussi am Donnerstag, vor ihrem ersten Konzert an der Kilbi, in ihrem Container im Backstage. Da redeten wir über Punk- und Zirkusästhetik über Freiheit, Anti-Consumerism und Plastiksäcke. Sie erklärten wie sich trafen wie ihr Sound entsteht wie er sich stetig verändert und wie ihre Haltung zu Genrebegriffen und der dazu verbundenen Schubladisierung aussieht. Wir sind gespannt auf die drei kommenden Shows an der Bad Bonn Kilbi 2023!
frachtwerk: Ist dies euer erstes Konzert in der Schweiz?
Heidi: Als Muovi Pussi ja
Niki: Milla und ich waren schon mit Zirkus Projekten da
frachtwerk: Habt ihr alle einen Hintergrund im Zirkus?
Heidi: Sie beide ja, ich komme eher aus der sozialen Arbeit und aus der Musik
frachtwerk: Fliessen diese Hintergründe auch in dieses Projekt Muovi Pussi hinein?
Heidi: Zirkus auf jeden Fall, soziale Arbeit weiss ich noch nicht ganz wie, aber ich bin mir sicher dass es auf irgend eine Weise eine Rolle im Prozess spielt
frachtwerk: gibt es denn ein zentrales Konzept von Muovi Pussi? Vielleicht auch etwas was mit dem Namen zu tun hat, der übersetzt Plastiksack heisst?
Niki: Ich denke es gibt sicher ein Konzept das aus unseren drei Persönlichkeiten entspringt, die darin zusammen kommen, aber ich denke es gibt nicht wirklich ein fixes zentrales Konzept, das wir festmachen könnten
Milla: Wir starteten dieses Projekt in Finnland und der Name entstand damals recht zufällig, ohne grosse Gedanken dahinter. Es sollte sich einfach nach Spass anhören. Zu Beginn hatten wir viele Texte die sich mit Anti-Consumerism beschäftigen und so kann der Plastiksack auch als Symbol dafür gelesen werden
Niki: Es startete einfach als eine Band unter Freunden und da kamen wir auf den Namen, wir haben uns nicht wirklich so viel dabei überlegt
Heidi: Aber für mich persönlich, war es immer wichtig einen Bandnamen zu haben der nicht so pompös und gross ist, weil viele Bands haben Namen die so „The This“ und „THE THAT“ und so weiter heissen, und immer so gross und spektakulär erscheinen. Da finde ich es toll das Muovi Pussi nicht in diesem Modus funktioniert, sondern eben klein und spielerisch und unbedeutend erscheint.
Niki: Und zu Beginn hätte ich nie gedacht dass wir jemals im Ausland spielen würden, und es war eher so: „Lass uns in einen Bandraum gehen und einfach jammen und proben“ und ich hätte mir auch nie Gedanken darüber gemacht wie unser Sound im Ausland wirken könnte. Spannend ist auch dass wir die meisten Songs auf Finnisch singen, und dann überlegen wir uns, dass es für alle welche die Sprache nicht verstehen wie ein Alien-Geplapper tönt wenn wir singen und rappen.
frachtwerk: Und da wir ja schon von Anti-Consumerism sprachen, wie steht ihr zum Begriff des Punk, oder zur Punkästhetik generell, ist das ein wichtiges Element oder Motiv in diesem Projekt?
Niki: Wir versuchen diesen Begriff eigentlich zu vermeiden.
Milla: Ich glaube Punk beschreibt eigentlich unsere Energie innerhalb des Projekts recht gut, aber das Wort Punk ist auch schon mit so vielen Bildern aufgeladen, und so wollen wir nicht in diesen Begriff schubladisiert werden. Es wäre super wenn wir uns generell von allen Schubladen und Kategorien fernhalten könnten, aber ich verstehe auch dass es den Menschen in ihrer Rezeption helfen kann einzuordnen.
Niki: Und wir haben in unserer Musik viele Einflüsse, sicher auch Punk aber auch besonders viel Elektronik, wir nehmen eigentlich alles mögliche an Genres die wir mögen und dann mischen wir alles zusammen.
Milla: Dieses Genrekombinierende, das Verbinden von elektronischen Genres ist vielleicht ein Element oder eine Eigenschaft dass am nächsten beschreiben könnte was wir hier machen.
frachtwerk: Und wechselt dann der Stil von Muovi Pussi auch sehr schnell, parallel dazu was ihr gerade selbst für Musik hört?
Niki: Ich würde sagen dass wir nicht wirklich fixiert wären auf ein Konzept oder eine Idee wie Muovi Pussi tönen soll oder wir suchen diesen fixierten Sound gar zu verhindern. Es kann eigentlich jede Emotion oder jeder Musikstil in das Projekt einfliessen. Ich habe auch keine Ahnung wie wir in Zukunft tönen werden es wird wahrscheinlich wieder komplett anders tönen.
Milla: Ja, wir haben wahrscheinlich schon erkennbare Sounds entwickelt aber mir ist es besonders wichtig, dass wir möglichst frei bleiben. Zum Beispiel wenn wir Konzerte spielen und Zuschauer:innen sagen: „Oh ja, das ist Muovi Pussi“ dann wäre es mir wichtig immer noch diese Freiheit zu behalten, eben doch anders zu klingen und dann ist das nächste Konzert eben mal ein Country-Konzert oder so. Aber es geht um die Idee frei zu bleiben und nicht stehen zu bleiben.
frachtwerk: Was können wir von euren drei Shows hier an der Kilbi erwarten?
Heidi: Dass es jedes mal genau gleichen werden wird (lacht).
Niki: Oh was man erwarten kann, ich weiss nicht.
Heidi: Unterhaltung!
Niki: Ja, man sollte sich bereit machen unterhalten zu werden.
Heidi: Ich glaube viel hängt davon ab wie die Stimmung im Raum wo wir spielen ist, aber das Set an sich wird für jeden Tag gleich sein, aber weil es drei sehr verschiedene Locations sind, hat es darin auch ein grosses Potenzial für Verschiebungen wie wir performen, wie wir uns auf der Bühne ausdrücken. Wir wissen also selbst nicht wie es sein wird, wir sind erstmals einfach hier um Spass zu haben.
Milla: Ich denke besonders das Konzert am Strand wird am experimentellsten sein, weil es ein Space sein wird wo wir viele Möglichkeiten haben werden.
frachtwerk: Aber das Set am Konzert ist also geplant, es ist also keine improvisierte Performance.
Milla: Ja das Set ist geplant, aber es gibt natürlich viel Raum dazwischen, um zu improvisieren
Niki: Wir machen ja sonst auch neben den Konzerten noch eine Theater-Show, aber hier an der Kilbi machen wir nur Konzerte
Heidi: Im Theater haben wir mehr Elemente aus dem Zirkus. Es ist eine Mischung aus Konzert, Theater und Zirkusshow und da haben wir einfach Elemente gesucht die Spass machen und die zusammengebaut.
Niki: Wir haben ja unseren Hintergrund auch im Zirkus oder auch im theatralen, und so hatten wir viele Ideen, die eine solche Aufmerksamkeit benötigen, wie man diese im Theater oder im Zirkus bekommt. Und so ist dann auch dieses Theaterprojekt entstanden. Wir fragten uns wie es wäre, wenn unsere Band in einem Setting spielt, wo aber der Fokus der Zuschauer:innen, wie der im Theater oder Zirkus ist. Und da haben wir zum Beispiel auch einmal mit einem Zauberer zusammen gearbeitet, wir wollten so eine „crappy music magic show“ machen und da haben wir aber dann gemerkt, dass wir selbst nicht die Geduld dazu haben all diese Zaubertricks zu lernen, also kollaborierten wir mit einem Zauberer
Heidi: Aber wir haben immer noch selbst auch einzelne Magie-Elemente in der Show
Milla: Ja, vielleicht dann am Strand morgen. Aber eben wie Niki schon sagte, im Konzert besteht eine ganz andere Aufmerksamkeit, es gibt keine gerichteten Scheinwerfer oder ähnliches, und vieles würde in diesem Setting nicht gleich gut funktionieren. Und so machen wir jetzt hier eher einfach Musik und versuchen vielleicht hier und da einen kleinen Spagat zwischen den Elementen zu machen.
Niki: Ja, im Theater kann man sehr minimalistisch und ruhig sein, und jeder wäre immer noch fokussiert, aber an einem Festival wo es andere Konzerte gibt und die Leute an der Bar reden und alle herumlaufen und es keine Stille gibt weil alles draussen ist, dann funktioniert vieles nicht.
frachtwerk: Und dieser Einfluss aus dem Zirkus, wie würdet ihr Zirkus als Medium oder als Stil oder Ästhetik beschreiben oder was bedeutet es für euch?
Niki: Also ich mag die Zirkus-Ästhetik überhaupt nicht (lacht).
Milla: Es kommt besonders daher, dass wir Tricks verwenden, oder Gags, Akrobatik oder eben Magie als Elemente brauchen und vielleicht auch „physical theatre“ das würde diese Einflüsse beschreiben
frachtwerk: Und wenn ihr diese vorbereiteten Tracks kreiert, wie sieht da der Prozess aus? Komponiert ihr, und schreibt es auf oder ist es mehr ein Jammen? Und kreiert ihr immer zusammen oder kommen einzelne Tracks auch von einzelnen Personen?
Niki: Ich würde sagen dass verschiedene Songs auf verschiedene Weisen entstanden sind, aber wir versuchen immer alles so weit wie möglich zusammen zu machen. Manchmal entscheiden wir ein Thema und jeder muss dann in fünf Minuten einen Song oder Lyrics oder etwas anderes kreieren und dann vermischen wir dann alles und bauen es zusammen und dann suchen wir uns aus was uns gefällt und dann wird daraus ein Song. Das ist ein Weg wie unsere Tracks entstehen.
Heidi: Wir erforschen ganz verschiedene Weisen wie kreiert werden kann, besonders auch weil wir drei ganz verschiedene Personen sind, mit verschiedenen Arten und Weisen zu kreieren und jeder seine eigene Dynamik hat und genau diese Dynamik versuchen wir zu durchbrechen. Zum Beispiel spielen wir manchmal zu zweit Konzerte für die Dritte Person zu spielen und so versuchen wir neue Wege zu finden Sounds zu kreieren.
frachtwerk: Und da ihr ja so verschiedene Persönlichkeiten seid, wie habt ihr euch überhaupt kennengelernt und wie kam es zu Muovi Pussi?
Niki: Also Milla und ich kennen uns schon seit 20 Jahren vom Zirkus
Heidi: Aber du und ich kennen uns auch schon seit fast 20 Jahren
Niki: Ja stimmt, wir sind zusammen zur Schule gegangen.
Milla: Und Heidi und ich haben uns vor fünf Jahren das erste Mal getroffen, an unserer ersten Bandprobe. Niki und ich haben uns getroffen um Musik zu machen und da sagte Niki dass seine Freundin Heidi auch mitkommt, und da haben wir uns getroffen und Musik gemacht, und so ist alles recht zufällig und intuitiv entstanden und wir probten und kreierten ein erstes Album, und nahmen einfach viele Songs auf. Und an unserer zweiten Probe hatten wir bereits ein Konzert. Und es ist auch noch kompliziert weil Heidi lebt in Helsinki, ich lebe in Stockholm und Niki lebte da in Berlin und ein wenig überall, also haben wir nicht wirklich so regelmässige Proben, aber dafür ist es jedes Mal wenn wir uns sehen sehr energetisch und intensiv. Und aus dieser Energie kreieren wir dann.
Niki: Wir hatten einfach diesen Plan, dass wir an unserer ersten Probe ein Album aufnehmen und das haben wir dann auch gemacht, wir haben es zwar nicht veröffentlicht oder so aber es waren doch so 10 Tracks. Und danach sagten wir an der nächsten Probe machen wir ein Konzert.
frachtwerk: Und noch eine letzte Frage; was ist der letzte Song der jeder von euch angehört hat?
Heidi: Bei mir war es Pedestal Of Infamy von Flea
Milla: Bei mir war es ein Stück von MinReCuliao, Min wird mit einem ersten Konzert die Kilbi dieses Jahr eröffnen.