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«…sodass ich mit 60 noch mit diesen Idioten spielen kann» – Coilguns im Interview am B-Sides-Festival 202311 min read

19. Juni 2023 7 min read

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«…sodass ich mit 60 noch mit diesen Idioten spielen kann» – Coilguns im Interview am B-Sides-Festival 202311 min read

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Laut und lärmig ging es am vergangenen Samstagabend beim Coilguns Konzert zu und her. Die spezielle Rock-Band, aus der laut dem Gitarristen Jona Nido Hummus Records entsprungen ist, hat frachtwerk Antwort und Rede gestellt. Im nachfolgenden Gespräch geht es um das Konzept von Hummus Records, den Songprozess von Coilguns und Zukunftsmusik.

frachtwerk: Es ist euer erstes Mal am B-Sides Festival. Letztens habt ihr am Greenfield Festival gespielt. Im Gegensatz zum sehr diversen B-Sides-Festival setzt das Greenfield-Festival vordergründig auf Rock- und Metal-Bands. Wie denkt ihr, könnt ihr die Metal-Szene verändern?

Jona: Wow (lacht). Ich denke nicht, dass wir vorhaben, die Metal-Szene zu ändern. Es wäre ehrlich gesagt schwierig, diese Szene zu ändern. Ich finde, wir sind immer assoziiert worden mit der Metal-Szene, weil Coilguns eine extreme und laute Band ist mit lauten Gitarren und intensivem Gesang. Und Leute neigen dazu, uns in die Metal-Szene zu schubladisieren, aber wir wurden nie sehr stark von der Szene adoptiert. Wir haben nie einen grossen Teil davon ausgemacht und wir denken, wir sind Teil der Rock- und Punkszene – das ist sicher. Aber ich bin lieber da, wo wir heute sind. Ich mag es lieber an Festivals aufzutreten, die ein breiteres Musikspektrum haben als Greenfield. Obwohl Greenfield Spass machte.

frachtwerk:  Ihr habt vier Bands, die am B-Sides spielen, die ihr mit Hummus Records unter Vertrag habt.

Jona: Vier? Wer? Yet no Yokai, Baby Volcano und Coilguns? Ich denke, es sind drei.

Louis: Vielleicht meinst du Sun Cousto, aber sie haben erst eine Single veröffentlicht.

frachtwerk: So oder so – was hält ihr davon, dass Hummus Records eine so grosse Reichweite hat?

Jona: Wir begannen mit der Veröffentlichung von harter Musik aber nicht nur. Wir waren immer relativ offen bezogen auf das Musikspektrum. Für mich ist es ein grossartiges Zeichen von Anerkennung vom Publikum und dem Vertrauen der Festivalbooker:innen. Wenn wir Label-Nächte durchführen, mischen wir all diese Acts. Wir mischen Folk-Musik mit Indie-Musik mit Black Metal und es funktioniert. Die Leute kommen, also ist da eine Szene, die verschiedene Dinge mag. Und schlussendlich geht es viel um Energie. Obwohl Coilguns eine sehr direkte, laute und lärmige Band ist, solange du eine gute Energie reingibst, mögen es die Leute. Genau deshalb, haben die Booker:inen vom B-Sides gedacht, dass eine Band wie Coilguns gut reinpassen wird. Wo sich viele Leute denken, das ist aber komisch. Für uns ist es aber grossartig. Weisst du, wenn wir unsere Show beenden, lachen, umarmen und klatschen sich die Leute ab. Die probieren sich nicht umzubringen (lacht). Ich denke, das ist, was wir ihnen geben und was sie uns zurückgeben. Für mich macht es absolut Sinn, dass wir mit Hummus hier einige auftretende Bands haben und diese Reichweite jetzt haben. Es dauerte zehn Jahre, aber ich bin super glücklich, dass unsere Musiker:innen willkommen sind an diesem Ort.

frachtwerk: Wie geht ihr bei Hummus Records beim Einholen von neuen Bands vor? Geht es mehr darum, welche Reichweite die Band bereits haben oder geht es mehr darum, welche Stimmung von der Band aus geht?

Jona: Wir mögen es, mit Freund:innen zu arbeiten. Selten nehmen wir Bands unter Vertrag, die wir vorher nicht persönlich kannten. Aber es ist meistens eine Empfehlung von Louis oder von nahen Freund:innen, die sagen, «vielleicht magst du diese Band». Dann höre ich diese Band, ich mag sie und dann kommen wir in Kontakt und wir lernen uns kennen. Denn offensichtlich müssen wir sicherstellen, dass wir mit Personen zusammenarbeiten, die den gleichen Vibe und Ethik teilen. Das ist sehr wichtig, also nach der Musik kommt der Vibe, die Ethik und die Philosophie. Und danach kommt später die Frage nach den Plänen. Bei manchen Bands wissen wir, dass wir kein Geld machen werden oder dass sie nicht touren werden oder dass sie nicht mal Shows spielen werden. Wir können ja vielleicht über Anuk reden.

«Wir suchen nach Wegen, um besondere Bands zu unterstützen, die nicht den üblichen Mustern entsprechen.»

Louis: Wir haben keine professionelle Struktur und sind kein Geschäft. Unser Ziel ist es, selbstversorgend zu sein. Jona investierte viel Energie, um dies zu erreichen. Wenn das Label erfolgreich ist, können wir Leute bezahlen, um Inhalte hochzuladen, Pakete zu versenden und in den sozialen Medien aktiv zu sein. Unser Hauptziel ist es, selbstversorgend zu sein, nicht primär Geld zu verdienen. Wir versuchen jedoch, Einnahmen aus dem Verkauf von Platten zu generieren, um die Struktur aufrechtzuerhalten. Wir unterstützen Künstler, die sich fernab des Mainstreams befinden und das Musikgeschäft in Frage stellen. Ein Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit Anuk Schmelcher aus Zürich. Anuk wollte ursprünglich keine Musik online veröffentlichen, aber wir haben eine Lösung gefunden. Wir haben eine limitierte, handgeschnittene Vinyl-Edition produziert und sie in Musikgeschäften beworben. Anuk persönlich hat die EP vorgestellt und mit den Leuten gesprochen. Wir suchen nach Wegen, um besondere Bands zu unterstützen, die nicht den üblichen Mustern entsprechen.

frachtwerk: Wir haben nun viel über Hummus Records gesprochen. Nun als Übergangsfrage, um mehr zu eurer Band Coilguns zu kommen: Wie beeinflussen sich euer Label und Coilguns?

Louis: Ich würde sagen, dass wir versuchen, sie weniger und weniger verbunden zu haben. Am Anfang war Hummus nur ein Nickname, um ein Labelname auf die Coilguns Platte zu tun. Kein Label wollte uns unter Vertrag nehmen, also begann Jona damit, die ganze Arbeit selbst zu erledigen. Zu einem Zeitpunkt dachte er sich, vielleicht kann ich ein Logo designen, einen Namen finden und dann können wir dies veröffentlichen und sagen, «wir sind ein Label». Und so startete Hummus, aber es begann als Witz und nun 10 Jahre danach ist es eine Haupttätigkeit. Es hat eine ganz andere Reichweite und Mission, als nur Coilguns Musik zu veröffentlichen.

Jona: Es ist aber eigentlich das gleiche Unternehmen. Wir begannen mit dem Label wegen Coilguns und es sollte nur das Label von Coilguns sein. Mit der Zeit fingen wir an, andere Bands zu veröffentlichen und es bekam das ganze Ding. Und jetzt trennen sich die beiden etwas, Coilguns wird das eigene Monster und Hummus wird auch eine eigene Kreatur. Sie sind immer noch verbunden.

Louis: Wir versuchen immer noch Zeit zu finden für beide. Wir probieren das Label selbstversorgend zu machen, damit wir immer noch eine Band für uns haben können.

frachtwerk: Wie entsteht ein Coilguns-Song? Seid ihr gemeinsam in einem Bandraum oder schickt ihr euch Dinge gegenseitig zu?

Jona: Wir haben all dies experimentiert über Jahre hinweg. Wir haben im Raum gearbeitet, nur der Schlagzeuger und ich und dann kam Louis später dazu, also sehr klassisch Schlagzeug und Gitarre zuerst und dann Stimme zuletzt. Wir haben einige Platten live aufgenommen, einfach im Raum alle zusammen. Wir haben auch zwei Alben gemacht, die Louis selbst sound-engineert hat. Da mussten wir das Studio bauen und wir haben nichts geschrieben, also hatten wir einen Monat zum Schreiben, Aufnehmen, Mixen und alles. Also haben wir alle miteinander meistens unter Druck in einer kurzen Zeit komponiert. Und für das aktuelle Album, das nächstes Jahr rauskommen wird, war es anders. Ich sass alleine an meinem Computer für mehrere Monate und nahm gewisse Vorproduktionen auf wie programmierte Drums. Dann arbeitete der Schlagzeuger alleine daran.

Louis: Dann war da ein Mann, der spezielle Gitarren extra für dich designte. Er kreierte neun-saitige Gitarren und schrieb Riffs darauf.

«Für das letzte Album haben wir fast drei Jahre gearbeitet, bevor wir ins Studio gingen.»

Jona: Ja, das stimmt. Ich experimentierte viel mit Tunings und so, die viel Farbe den Liedern verlieh. Es war ein gesamter Prozess, den ich zuerst alleine machen wollte und zeigte die Songs dann den Jungs, um herauszufinden, ob sie sie mochten. Nachdem der Schlagzeuger Drums drauflegte, bekam es Louis und er ging zu einem Chalet und fügte welche Demo-Vocals hinzu und puzzelte die Songs zusammen. Wir haben also alles schon gemacht, aber für das letzte Album haben wir fast drei Jahre gearbeitet, bevor wir ins Studio gingen. Als wir also letztes Jahr ins Studio gingen, waren wir richtig bereit. Wir haben verschiedene Dinge über die Jahre ausprobiert.

Louis: Wir waren richtig bereit, aber trotzdem dauerte es sechs Monate für uns, es zu mischen und viele Dinge veränderten sich.

Jona: Wir waren richtig bereit, es aufzunehmen, das Mixing war wiederum eine andere Sache.

Louis: Es ist für uns aber ein neuer Prozess, uns mehr auf die Songs zu fokussieren. Es ist unser Stil. Wir waren am Anfang eher begeistert von Riffs und jetzt sind wir eher interessiert an Songs. Aber vielleicht kommen wir zurück zu den Riffs. Ich weiss nicht, wir wollten uns mehr auf Lieder konzentrieren, Jona und Kevin, unsere neuen Bass-Dudes singen viel auf der Bühne, was auch etwas Neues ist. Es gibt eine neue Tiefe zur Musik, die wir vorher nicht hatten. Er war der Einzige, der sang und Gitarre spielte (Anmerk. Redaktion: er für Jona). Jetzt spiele auch ich viel Gitarre. Wir haben neu auch Kevin, der neue Mann, der während Covid zu uns kam. Er ist auch Sound Engineer, Bassspieler, Vocalist, Keyboardist – er macht alles. Die Stimmung veränderte sich. Wir sind super begeistert.

frachtwerk: Was läuft bei euch in Bezug auf Kollaborationen?

Louis: Wir arbeiten aktuell zusammen mit einer Band namens Birds in Row. Sie sind Langzeitfreunde von uns und in Laval in Frankreich basiert. Wir haben drei Songs aufgenommen mit zwei Schlagzeuge, vier Gitarren, zwei Bässen, drei Stimmen – wie eine hardcore Big-Band.

Jona: Es war nicht etwas, das wir suchten. Coilguns kollaboriert mit verschiedenen Musikschaffenden, aber auf unterschiedlichen Levels. Wir arbeiten beispielsweise oft mit Visual Artists zusammen, aber nicht so oft mit anderen Musikschaffenden. Ich kann auch nicht sagen, dass mich dies mega reizt. Es ist so oder so schon schwierig genug, die Meinungen von vier Bandmitgliedern mit starker Vision zusammenzubringen, – aber mit Birds in Row war es sehr natürlich, sie sind sehr enge Freunde und als wir die Gelegenheit hatten, packten wir diese und machten etwas ganz Neues aus den zwei Bands. Das ist cool, aber ich empfinde nicht das Bedürfnis, ein Gast-Vocalist oder eine Gastmusikerin auf der Platte zu haben.

Louis: Es ist etwas, was wir in der Vergangenheit machten. Für «Commuters» hatten wir eine Anzahl Gäste.

Jona: Aber das war für ein Lied. Ja, wir taten dies.

Louis: Es ist so, dass alle von uns drei oder vier Nebenprojekte haben. Kevin hat sein eigenes Solo-Projekt, Jona hat sein Trance-Projekt verfolgt und veröffentlicht. Über Jahre hinweg bin ich an meinem Solo-Projekt dran, Luc ist in x-verschiedenen Bands als Schlagzeuger. Coilguns ist unsere private Zone.

frachtwerk: Letzte Frage: Was ist das bisher aufregendste Erlebnis, das ihr auf Tour erlebt habt?

Jona: Oh Gott, es waren so viele. Der Fokus für mich verändert. Wenn du startest, ist es aufregend, 300 Kilometer wegzufahren und vor unbekannten Leuten zu spielen und auf der Matte einer Person zu schlafen. Wenn du es 100, 150 oder 500 Mal machst, dann ist es nicht mehr aufregend. Für mich ist es aufregend, vor einem grossen Publikum zu spielen. Das ist etwas, worauf ich mich wirklich freue. Ich mag es nicht mehr so fest zu touren. Denn wir spielten mehr als tausend Shows mit verschiedensten Bands überall auf der Welt. Ich denke, was aufregend ist, ist das richtige Essen mit den richtigen Leuten zu essen. Und für eine frische Crowd zu spielen. Auch interessant ist, dass man beispielsweise an einem B-Sides nicht erwartet, dass Coilguns spielen. Das ist, was wir nun mehr anstreben. Wir wollen an mehr Orten spielen, an denen wir nicht erwartet werden. Das ist, was jetzt aufregend ist für diese Band. Aber für gute Tour-Geschichten – da gibt es so viele, dass ich mich nicht erinnern kann. Wir hatten die Möglichkeit, eine grosse Anzahl von Plätzen auf der Welt zu besuchen. Wir hatten gutes Essen an vielen Orten, wir trafen viele lustige Leute, wir hatten viele komische Erlebnisse. Aber nichts sticht so fest heraus wie diese Erfahrung, dass wir seit 10 Jahren zusammenleben. Ich hoffe, dass es das ist, was wir tun werden, wenn wir fünfzig oder sechzig sind.

Louis: Ich hoffe, wir werden wie Les Reines Prochaines sein.

Jona: Wer ist Les Reines Prochaines?

Louis: Les Reines Prochaines haben erst gerade vorher gespielt. Sie sind eine Band seit vierzig Jahren.

Jona: Mein Pensionsplan – nun, ich habe keinen, da ich mich nicht darum kümmere, aber jetzt ist es, meinem Körper und meiner Dehnbarkeit Sorge zu tragen, sodass ich mit sechzig immer noch mit diesen Idioten spielen kann. Denn das ist mein Lebensplan.

frachtwerk: Schön, merci für eure Zeit.

 

Hier kannst du dir die Musik von Coilguns anhören:

 

Bild: Milena Müller

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