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Wenn die Lichter vor den Augen verschwimmen – Eefje de Visser im Interview9 min read

26. Juli 2023 7 min read

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Wenn die Lichter vor den Augen verschwimmen – Eefje de Visser im Interview9 min read

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Im Gespräch mit Eefje de Visser – über das Spiel zwischen Akustik und Elektronik, ihre Faszination für Gegensätze und die Wichtigkeit von Songtexten in der Musik

Es ist heiss auf dem Vorplatz des Schweizerhofs. Bald treffe ich mich mit Eefje de Visser. In Holland und in Belgien wird die 37-jährige Holländerin schon lange als Pop-Ikone gefeiert. Ihr im Jahre 2020 veröffentlichtes Album «Bitterzoet», stiess auch im Ausland auf grosse Begeisterung. Heute wird sie im Rahmen des Luzern-Live Festival im Zeugheersaal des Schweizerhofhotels auftreten.

Eefje erwartet mich schon im kalten Foyer. Ich erkenne sie an ihren langen, braunen Haaren, die ihr wie ein Wasserfall über die Schultern fliessen. Wir setzen uns auf die gemütlichen Sessel im Eingangsbereich. Sie wirkt ganz gelassen. Es sei ihr erstes Mal in Luzern, erzählt Eefje. Sie freut sich, hier zu sein.

frachtwerk: Magst du uns was über deinen bisherigen musikalischen Werdegang erzählen?

Eefje de Visser: Ich wuchs in einer musikalischen Familie auf. Musik war immer um mich herum. Als ich achtzehn Jahre alt war, fing ich an, Songwriting zu studieren. Mein erstes Album veröffentlichte ich dann mit zweiundzwanzig Jahren und gewann damit einen grossen Musikwettbewerb in Holland. Von da an war ich professionelle Musikerin. Ich mache nun schon seit zwölf Jahren Musik und habe mittlerweile vier Alben veröffentlicht.

Bild: Julia Süess / Eefje de Visser mit Band

frachtwerk: Dein Stil hat sich mit der Zeit ziemlich verändert. Wie kam es dazu?

Eefje de Visser: Anfangs komponierte ich alle meine Songs auf der Gitarre. Mit der Zeit wurde mir dabei aber langweilig, weil ich im Kopf andere Klangvorstellungen hatte. In den 2000er begeisterten mich Moloko, Radiohead und Air… Die grossen dream-electronic Bands dieser Zeit, die viel mit elektronischen Klängen arbeiteten. Sie beeinflussten mich und meinen Sound und für mich stellte sich irgendwann immer mehr die Herausforderung, einen Weg zu finden, meine Gitarre in die Arrangements einzufügen.

«Mir ist es wichtig, das Beste aus den Songs herauszuholen. Sie sollen im Arrangement und den Klängen florieren, egal ob diese akustisch oder elektronisch sind.»

Ich bin meist auf der Suche nach einer bestimmten Klangfarbe oder einem besonderen Gefühl. Dieses kann in einem elektronischen Synthesizer vorkommen, aber auch in einem akustischen Instrument. Mir ist es wichtig, das Beste aus den Songs herauszuholen. Sie sollen im Arrangement und den Klängen florieren, egal ob diese akustisch oder elektronisch sind. Ich liebe beide und habe schon immer zwischen beiden hin und her gewechselt und versucht, sie innerhalb meiner Alben zu kombinieren.

Bild: Julia Süess

frachtwerk: Hast du schon immer so gearbeitet?

Eefje de Visser: Ich hatte früher einen kleinen Tucson Kassettenrecorder, mit dem ich herumexperimentiert habe. Ich liebte es, viele Stimmen übereinander zu legen und mit den dabei entstehenden Harmonien zu spielen. Diese erweiterte ich dann mit Gitarrenklängen. Das war mein Ding. Mein älterer Bruder hatte ausserdem ein kleines Studio bei uns zu Hause, wo ich schon sehr früh erste Arrangements machen konnte. Später hatte ich das Glück, Freunde zu haben, die ein Studio besassen. Ich hatte immer Menschen um mich herum, von denen ich viel lernen konnte. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Arbeit im Studio und produziere mittlerweile viel selbst.

Bild: Julia Süess

frachtwerk: Dein neustes Album «Bitterzoet»entstand in Kollaboration mit deinem Partner und Producer Pieterjan Coppenjans. Erzähl uns was über diese Zusammenarbeit.

Eefje de Visser: Es ist das erste Album, das in dieser Konstellation entstanden ist. Anfangs waren wir etwas skeptisch, weil wir es nicht gewohnt waren, zusammenzuarbeiten. Wir fühlten uns wie «Two captains on one ship», das war am Anfang gar nicht so einfach. Aber ich glaube, wir haben mittlerweile unseren Weg gefunden. Wir arbeiten für mein fünftes Album wieder zusammen.

Pjeterjan ist Toningenieur. Er weiss alles über das Equipment. Er kennt die besten Mikrofone, die passenden Pre-Amps und Synthesizer – alles über die Elektronik. Ausserdem macht er den Mix und hat somit einen grossen Einfluss auf den Klang. Er weiss, wie sich meine Ideen in die Tat umsetzen lassen. Ich kümmere mich prinzipiell um die Arrangements, die Harmonien und das Songwriting. Wir sind uns bei der Arbeit also nicht im Weg!

«Meistens verliere ich irgendwann den Enthusiasmus. Das ist gut! Nur so versuche ich es besser zu machen.»

Wir haben eine Zeitlang in unserem Studio gewohnt – einem grossen alten Loft, der uns als Wohn- und Arbeitsplatz diente. Das ermöglichte uns, lange Zeit an unserem Album zu arbeiten. Es war schön, so viel Zeit zu haben. Auch um Abstand zu nehmen und die Musik jedes Mal von Neuem zu betrachten. Es gibt viele Momente, in denen ich mit dem, was ich mache, sehr glücklich bin. Aber meistens verliere ich irgendwann den Enthusiasmus. Und das ist gut. Nur so versuche ich es besser zu machen.

Bild: Julia Süess

frachtwerk: Was steckt hinter dem Albumtitel «Bitterzoet»?

Eefje de Visser: Ich liebe den Minimalismus, aber auch die Fülle. In meiner Musik spiele ich gerne mit dieser Gegensätzlichkeit. Widersprüche sind mir wichtig, ich komme intuitiv immer auf sie zurück. Bittersweet ist ja auch ein Widerspruch. Ich würde nicht sagen, dass es sich bei «Bitterzoet» per se um ein Album über Widersprüche handelt, aber es beinhaltet viele. Den Widerspruch zwischen dem Eskapismus und der Realität beispielsweise. Zwischen Elektronik und Akustik. Licht und Dunkelheit.

Ausserdem wollte ich beim Hörerlebnis die Sensation eines Zustands der Trunkenheit oder Berauschtheit erwecken. «Bittersweet» so wie der Geschmack von Alkohol.

«Widersprüche sind mir wichtig, ich komme intuitiv immer auf sie zurück.»

frachtwerk: Du singst auf Holländisch. Wie wichtig ist es für dich, dass man den Inhalt deiner Songtexte versteht?

Eefje de Visser: Ich höre viel Musik, deren Texte ich nicht verstehe. Auch auf Englisch. Bon Iver zum Beispiel. Ich verstehe ihn nicht! Aber es ist mir auch nicht wichtig, ihn zu verstehen. Vielmehr berührt mich die Musik.

Klar, wenn die Texte gut sind, gibt es der Musik eine zusätzliche Tiefe. Ich bin beispielsweise ein grosser Fan von Joanna Newsoms Texten. Sie sind sehr interessant und ich finde, sie fügen der Musik viel Wert hinzu. Aber ich finde es echt nicht notwendig. Ich glaube fest, dass die Musik uns in Weisen berühren kann, die weit über Worte und deren Verständnis hinausgehen. Klänge können Gefühle ausdrücken, die durch Worte nicht erfasst werden können.

Lustigerweise verstehen mich auch in Holland viele Leute nicht, weil ich gewisse Wörter nicht so klar ausspreche. Das liegt daran, dass ich den Klang der Worte der Musik anpasse. Ich will, dass die Songtexte musikalisch und fliessend klingen. Nicht rational, sondern intuitiv.

frachtwerk: Die Wichtigkeit liegt im Klang.

Eefje de Visser: Auch wenn ich dem Klang mehr Wichtigkeit gebe, arbeite ich sehr hart an meinen Texten, weil sie für mich die grösste Herausforderung darstellen. Vielleicht ist es in eurer Sprache ähnlich, aber in Holländisch kann es sehr schnell peinlich werden, wenn die Lyrics nicht gut sind. Wenn sie zu emotional oder zu simpel sind, beispielsweise.

«Ich würde keine Musik hören, bei der die Lyrics gut sind, die Musik aber schlecht. Andersrum würde ich es machen.»

Bild: Julia Süess

frachtwerk: Kennst du dich ein bisschen mit der Musikszene in der Schweiz aus?

Eefje de Visser: Ich denke oft, dass es bestimmt viele grossartige Schweizer Bands geben muss. Aber wieso wissen wir im Norden nichts davon? Frankreich hat viele bekannte Musiker:innen. Phoenix, Daft Punk, Christine and the Queens… England natürlich auch, und einzelne skandinavische Länder vielleicht. Aber sonst? Nicht wirklich. Es ist schade, weil die Länder in Europa so nah aneinander liegen. Wir könnten viel durchmischter sein!

frachtwerk: Woran denkst du, könnte das liegen?

Eefje de Visser: Ich denke, das liegt an der Macht der Managements und der Booker. Ich spiele auch nur hier in Luzern, weil mein Management Bands wie Balthazar und Tamino vertritt, die überall in Europa spielen.

Ich komme aus Holland, wohne aber in Gent in Belgien. Ich habe eine belgische Band und ein belgisches Team. Holland hat nicht viele Bands, geschweige denn eine grosse alternative Musikszene. Viele Holländer beschweren sich über den Musikbetrieb. Teilweise aber zu Unrecht. Wir sind ein kleines Land, haben aber hunderte Festivals. Es gibt sechs grosse alternative Festivals. Das ist viel für ein so kleines Land.

frachtwerk: Du hast dein letztes Album kurz vor Start der COVID-Pandemie veröffentlicht. Wie war diese Zeit für dich?

Eefje de Visser: Mein Album wurde trotz Pandemie ein Erfolg. Manchmal denke ich mir, dass Covid mir eine grosse Chance gegeben hat. Meine Musik ist nicht besonders laut und in Holland mögen die Menschen eher Hip-Hop oder Rock-Bands, die sehr laut und energetisch sind. Ich hatte auch schon Erfolg mit meinen ersten Alben, jedoch innerhalb einer Nische. Es war schwierig, da herauszukommen. Covid hat mir gewissermassen Platz gegeben, da auszubrechen, weil es nicht mehr so viele Veröffentlichungen oder grosse Festivals gab. Meine Musik ist subtil und wurde während dieser Zeit gut aufgenommen. Später nahm ich alle Angebote von Covid-sicheren Konzertorten, Fernseh- oder Radioauftritten an. Ich war sehr beschäftigt. Wir machten auch ein Konzertfilm in unserem Wohnzimmer, der sogar in die Kinos kam und auf viel Begeisterung stiess.

Ausserdem wurde ich während der Pandemie Mutter. Mein Partner und ich kauften uns ein Haus und renovierten es. Das perfekte Timing! Mein Baby kam während eines Lockdowns auf die Welt und als der Konzertbetrieb wieder anfing, ging ich auf Tour.

«Nach allen Lockdowns war ich Mutter geworden, hatte ein Haus, meine Platte war ein grosser Erfolg, meine Band gewann paar Musiker:innen mehr, und ich fing an zu touren!»

frachtwerk: Du hast erwähnt, dass du heute in einer kleineren Bandbesetzung auftrittst. Wie sieht diese aus und was macht es für einen Unterschied für dich?

Eefje de Visser: Heute spielen wir zu dritt: Schlagzeug, Keys und ich. Es ist viel zu teuer, alle meine Mitmusiker: innen mit ins Ausland zu nehmen. Aber ich hoffe sehr, bei meiner nächsten Albumtour die ganze Band dabeizuhaben. Die Choreografie und die zusätzlichen ”vocal harmonies” machen einen sehr wichtigen Teil unserer Liveshow aus. Das vermisse ich, wenn ich mit einer kleinen Band spiele. Es ist auch spannender für das neue Publikum. Die Choreografie macht die Musik zugänglicher und visuell interessanter. Deshalb arbeite ich viel mit Licht. Mein Lichtingenieur ist heute glücklicherweise dabei. Das wird super, er ist der Beste!

Bild: Julia Süess

Eefje de Visser legte in dem parkettierten, mit Apéro-Tischen ausgestatteten Festsaal, eine ziemliche Show hin. Bassige Synth-Sounds vermischen sich mit kräftigen Drums und sanften Gitarrenklängen. Ihre Stimme schwebte teils zart, teils laut und dringend über den Klangteppich hinweg. Das Licht passte sich konzeptuell an die einzelnen Songs an, was die Musik dramatisch unterstrich. Mal gespenstisch rot, blau flackernd oder fliessend Gold auf ihrem weissen Anzug – die Lichter verschwammen förmlich vor den Augen. Eefjes fliessende Tanzbewegungen verzauberten und zogen das Publikum ihren Bann.

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