Literatur Magazin

Gratis zum mitlesen: Leinsee von Anne Reinecke3 min read

28. Juli 2023 3 min read

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Gratis zum mitlesen: Leinsee von Anne Reinecke3 min read

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Kannst auch du nicht an einem öffentlichen Bücherschrank vorbeilaufen, ohne einen Blick hineinzuwerfen? Der kleine rote Kasten am Luzerner Helvetia-Platz zieht mich an wie ein Magnet. Zuhause stapeln sich bereits die ungelesenen Bücher, doch dieser Versuchung kann ich nicht widerstehen. Ich lese Bücher, welche schon gelesen wurden, die nicht frisch ab Presse sind, sondern von einer Staubschicht befreit werden müssen!

In der dritten Ausgabe von «Gratis zum mitlesen»: Leinsee von Anne Reinecke

 

Ein Ort mit Charme

Der Titel des 2018 erschienenen Debütromans von Anne Reinecke verrät schon den Ort des Geschehens. Leinsee ist eine kleine, fiktive Oase in Deutschland. Das Künstlerpaar Ada und August Stiegenhauer besitzen eine schöne Villa mit Atelier am See. Grosse Fenster, eine Terrasse, ein schöner Garten und sogar ein Bootshaus sind in ihrem Besitz. Die Stiegenhauers sind durch ihre Plastiken bekannt geworden, in denen sie zerkleinerte und verbrannte Objekte in Harz verewigen. Die beiden haben einen Sohn; Karl. Er ist mittlerweile 26 und hat seine Eltern schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Er wuchs im Internat auf und kommt erstmals wieder nach Leinsee, als sich im Idyll auf einen Schlag alles verändert.

«Wissen Sie, das ist doch eine ganz falsche Vorstellung, dass ein Kind unbedingt zu seinen Eltern gehört! Woher kommt denn diese Vorstellung? … Kinder muss man loslassen!»

Ada Stiegenhauer

 

Karls Rückkehr

Die für unzertrennbar geglaubten Stiegenhauers sind auf einmal so weit voneinander getrennt wie nur möglich. Der Vater entschied sich für den Tod, um bei seiner Frau zu bleiben, im Glauben, dass sie bei einer Operation am Gehirn sterben würde. Karls Mutter, Ada, hat jedoch am Leben festgehalten und hat den Schritt ins Jenseits nicht mit ihrem Mann getan. Karl fährt nach einem Anruf der Polizei in sein altes Zuhause, wo das Seil noch immer von der Wohnzimmerdecke hängt.

 

Die Kunst als verbindendes Element

Nicht nur Karls Eltern sind bekannte Künstler:innen, auch er selbst hat sich in Berlin einen Namen gemacht. Unabhängig von seinen Eltern, da er seinen Nachnamen geändert hat und nur seiner Freundin von der Identität seiner Eltern erzählte. Ihre Kunst hat, vielleicht unterbewusst, die Gemeinsamkeit, dass sie beide Objekte in ein gleichbleibendes Material einschliessen. Karl verwendet dabei nicht Harz, sondern vakuumiert beispielsweise eine tote Taube in schwarzem Plastik.

Die Kunst spielt auch im Aufbau des Buches eine Rolle: Die Kapitel sind jeweils nach Farben benannt, die einen Bezug zum nachfolgenden Text haben, was ich ein schönes Element finde. Es ist wie ein Spiel nachher im Text nach der Titelfarbe zu suchen.

«‹Gott weiss›, das hatte der Vater schon immer gesagt. Immer schon, obwohl er überhaupt nicht religiös gewesen war. Als Kind hatte Karl geglaubt, das sei eine Farbe: allerweissestes Weiss, die Bartfarbe Gottes oder so.»

 

Wiederaufbau des Idylls

Da seine Mutter mit bleibenden Schäden im Krankenhaus bleiben muss, ist Karl nun der einzige Stiegenhauer in der Villa. Er macht sich auf, das Geschehene zu verarbeiten und sein Leben neu zu ordnen. Auf seine ganz eigene Art. Dies passt seiner Freundin aus Berlin leider nicht. Die möchte, dass Karl so bald wie möglich wieder zurückkehrt. Doch Karl will bleiben, nicht nur weil ein Mädchen ihn von Zeit zu Zeit im Garten der Villa besucht.

 

Das Buch ist sehr leicht zu lesen, wenn auch nicht immer sehr spannend. Durch die Wiederholung von Geschehnissen entsteht eine Monotonie, welche mich zeitweise etwas gelangweilt hat. Sie zeigt jedoch auf, dass Karl mit dem «normalen» Leben in Leinsee eigentlich glücklicher ist als mit dem Leben in Saus und Braus, welches er in Berlin hatte. Ich hegte bereits eine Vorahnung, welche Wendung das Buch gegen den Schluss nehmen wird, und diese hat sich leider bestätigt. Ich hätte mir ein anderes, unschuldigeres Ende gewünscht: Eine schöne Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft. Die Schriftstellerin hatte jedoch eine ungewöhnliche und etwas unbehagliche Liebesgeschichte im Sinn.

 

Text, Bild und Illustration: Lea Windisch

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