Der tönt massiv. Im Plausch mit einer Deutschrap-Ikone in Lissabon6 min read
Reading Time: 5 minutesMitgestalter der ersten Deutsch-Rap-Stunde Ju aka Mister Santos über die Entstehung eines Meilensteins, das Auswandern und die Schweizer Rap-Szene in den 90er-Jahren.
Wir befinden uns hinter dem Cristo Rei, dem Wahrzeichen der portugiesischen Metropole Lissabons. Genauer gesagt im Stadtteil Caparica. Dieser streckt sich mit seiner kilometerweiten Sandküste am Atlantik entlang. Ein Surfer-Paradies, wie es im Buche steht. Mit den Massiven Tönen erreichte er Legendenstatus und das bereits schon 1996 mit dem Album Kopfnicker. Darauf folgende eine stabile Karriere im hart umkämpfte Rap-Business des ausgehenden letzten Jahrhunderts bis zum letzten Album Zurück in die Zukunft im Jahre 2005. Dann gab es unter dem Namen Mister Santos noch einzelne Veröffentlichungen und anschliessend wurde es still um die Chartbreaker aus Stuttgart. Die ihren letzten offiziellen Auftritt zehn Jahre später vor heimischen Publikum bei den Hip Hop Open spielten.
Klarer Auftrag, den erfolgreichen MC, der ein Meilenstein mit seinen Partnern legte, muss man doch definitiv zum Interview treffen und schauen, was die letzten Jahre und das Leben so macht.
Es ist ein heisser Tag und wir freuen uns, das strahlende Kind der Nelkenrevolution in einer Surfer-Beizen am besagten Strand zu treffen.
«Geld war nie die Motivation.»
João, sehr schön, dich zu treffen. Muito obrigado, dass du dir die Zeit genommen hast. Souverän kopfnickend lächelt der Mann, der mit seiner Familie bereits 2015 aus der Motorstadt am Neckar nach Lissabon zog. Warum, wieso und was er da eigentlich macht, wollen wir von ihm wissen.
Zum Kaltgetränk gibt es leider keine Tremoços (salzige Lupinienkerne), auf Oliven verzichten wir. Man macht es sich gemütlich. Angenehm kann es mit der Schnellfragerunde beginnen.
frachtwerk: Bisch parat Junge?
Ju: (lachend) Na klar!
frachtwerk: Schwabugiese oder Portuwabe?
Ju: Haha, geil. Aber schon Portuwabe.
frachtwerk: Benz oder Surfbrett?
Ju: Hehe, Benz mit nem Surfbrett auf m Dach.
frachtwerk: Maultäschle oder Bacalhau?
Ju: Maultäschle mit Bacalhaufüllung.
frachtwerk: Schon ein Entweder oder gell! Also weiter. Benfica oder VfB?
Ju: Uhh, das es ne harte Nuss. Is mit beiden eine schwere Liebe. Boah, echt volle Ups n Downs mit beiden Teams erlebt. (kurze Pause) Nicht einfach! Hab se beide gleich gerne.
frachtwerk: Äffle oder Pferdle (legendäre schwäbische Trickfilmfiguren)
Ju: Winkt lachend ab. Seinem kopfschütteln entnehme ich ein Unentschieden.
frachtwerk: Ohne Kopfnicker kein..?
Ju: Kein Hip Hop.
Und darum drehte sich im Leben des 48-jährigen Lissabonners eigentlich alles. Als Teenager machte sich die Kappelle bereits mit der EP Dichter in Stuttgart einen Namen. Heldenstatus erreichte sie mit dem wohl meistgefeierten Deutschrap-Album der neunziger Jahre: Kopfnicker. Wohl kaum ein:e Rapper:in die dem nicht huldigte. Wirklich kein anders Album wurde namentlich so oft genannt und erscheint auch heute noch als zeitlos. Auch die Schüür in Luzern und die Schweiz-Tour werden bei Nichtsnutz erwähnt. Dazu später mehr.
frachtwerk: Wie geht es dir?
Ju: Hey gut, bei 28 Grad und nem angenehmen Lüftchen, immer gut. Paar anstrengende Kunden grad, aber sonst alles entspannt.
frachtwerk: Und da wären wir auch schon bei der Frage. Was macht man als Rapstar von einer golden Epoche so gut 15 Jahre später eigentlich. Und waren es familiäre Gründe, die ihn nach Lissabon, der Stadt seiner Geburt mit über 4o wieder zurückkehren liessen?
Ju: Also, ich hab tatsächlich mit Anfang 30 nochmals ein Studium begonnen, weil ich ja auch noch irgendwie Abi (Matura) gemacht habe und damit auch noch was erreichen wollte.
frachtwerk: Aber du hattest doch n Sechser in Deutsch? (Werfen wir scherzhaft ein, kleine spassige Konfrontation mit einem Zitat aus dem Song Geld oder Liebe)
Ju: Haha, jaja aber trotzdem geschafft und habe 2009 an der HdM Stuttgart Marketing studiert. Knapp vier Jahre nach dem letzten Album Zurück in die Zukunft. Nicht unweit darauf wurden meine Zwillingstöchter geboren. Da war das Rapding dann auch schon immer mehr in den Hintergrund geraten und das «normale Arbeitsleben» ging los. Wobei ich bis auf ein paar Jahre, nie von der Musik losgelassen war. Ich hab immer gerne wieder Sounds gemacht und mit verschiedenen, vor allem jungen Künstlern gearbeitet. Einfach aus Spass, Geld war da nie die Motivation.
frachtwerk: War das nie der Fall?
Ju: Nein, von Stunde eins nicht. Niemals. Wir haben ja auch gut verdient. Haben mit internationalen Crews Songs gemacht. Das lief alles sehr gut.
frachtwerk: Du hast auch mit einem alten Bekannten von mir Musik gemacht, Tall MC?
Ju: Ach komm, ja in Berlin habe ich mit dem gearbeitet. Guter Typ. Haha, witzig kennst du den. Hab da mit verschiedenen Künstlern gearbeitet. Das aber auch mehr aus Spass und Lieben zur Musik. Tatsächlich auch mal n Jährchen dort gelebt.
frachtwerk: Aber dann doch Lisboa, zurück zur Familie und dem besseren Wetter?
Ju: Ja, war für allem für die Mutter meiner Kinder (Portugiesin Anm.d.R.) ein wichtiger Punkt. Hey, und da ich auf Online Marketing spezialisiert bin, war für mich auch der Wohnort sekundär.
frachtwerk: Das tönt doch super. Drängt sich ja förmlich die Frage auf, was für dich Heimat ist?
Ju: (hält kurz inne) Hmm, ich glaube Heimat sollte immer dort sein wo man sich wohl fühlt.
Er blickt auf den Atlantik und grinst leicht. Wir lassen das mal so stehen.
frachtwerk: Jetzt müssen auch wir dann doch noch die allfällige Frage stellen: Wieso kam es bei den Massiven damals zur Trennung von Was? Das siehst du doch mit über 20 Jahren Abstand bestimmt anders, oder?
Ju: Naja, du, es hat halt einfach menschlich nicht mehr gepasst. Es war für alle Beteiligten die bessere Entscheidung. Es ist auch nicht schlimm. Wir sind auch vor Jahren wieder mal zusammen aufgetreten, aber that about it.
frachtwerk: Mit Schowi und Fünfter Ton seid ihr aber auch noch hier und da live am Start.
Ju: Ja voll, des bringt’s auch immer noch voll. Schowi is wie n Bruder für mich und wir sind Freunde fürs Leben. Und da dann zusammen die alten Zeiten aufleben zu lassen, macht mega Spaß.
Den hatten wir auch, tauschten uns noch über aktuelle portugiesische Musik und seine Rap-Kolleg:innen von damals, denen er allen den Erfolg gönnt. Es mache ihm tierisch Freude die alten Schule von 95,96 MC’s zu sehen, wie sie noch heute rappen oder neue Sounds machen. Und auch eigene Sounds von ihm. Aber Moment!
frachtwerk: Ja, aber natürlich können wir das Interview nicht beenden ohne zu wissen, wie denn der Vibe in der Schweiz damals auf den Jams zwischen Luzern, Basel, Winti und Züri anno 1992 bis circa 1995 und später war.
Ju: Ja, die Schweiz. (nostalgisches schwelgen) Hey, diese Berge! Diese Berge! Massiv Mann! (er lächelt wieder) Nein, des war echt geil. Von Stuggi aus bist du ja auch recht schnell in der Schweiz, also schneller als in Hamburg oder Berlin oder so. Wir sind da immer voll gerne dort hin. Die Leute hatten so n freshen Vibe. Anders, lässig. Egal ob Breaker oder MC’s. Fast n bisschen wie die Franzosen. Hat uns schwer beeindruckt. Sind öfters da hin und auf späteren Touren sowieso. Wir würden auch wieder kommen, wenn man das möchte.
Alles klar, wenn die Massiven Töne wieder mal in die Zentralschweiz kommen, lassen wir vom frachtwerk euch das sicher wissen.
Wir hatten eine helle Freude und bedanken es herzlich beim sympathischen Senhor dos Santos und wünschen ihm und seiner Familie alles Gute.
Fotos: Daniel Klein