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«Uns flog mal ein Huhn auf die Bühne!» Dirty Sound Magnet im Gespräch am Palp Festival8 min read

13. August 2023 5 min read

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«Uns flog mal ein Huhn auf die Bühne!» Dirty Sound Magnet im Gespräch am Palp Festival8 min read

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«Dirty Sound Magnet» ist eine der wenigen professionell arbeitenden Psych-Rock-Bands der Schweiz. Zwischen Mittagssonne und Raclette erklären sie, weshalb es noch nie einfacher war als jetzt, Musiker zu sein.

Am diesjährigen Rocklette, dem Rockevent des Walliser Palp-Festivals, hat frachtwerk die Band Dirty Sound Magnet interviewt. Die Freiburger Psych-Rock-Band öffnet sich im Gespräch dahingehend, dass sie den Release ihres nächsten Albums ankündigen, den Puls der Schweizer Rockszene fühlen und ihr Band-Dasein in der Schweizer Musiklandschaft umschreiben.

frachtwerk: Es war euer erstes Mal an diesem Ort, dem Col du Lein im Val de Bagnes zu spielen. Wie war eure Erfahrung?

Stavros Dzodzos: Speziell. Wir spielten schon 650 Shows und diese war eine wie wir sie noch nie vorher erlebt haben. Denn zuerst muss man hier auf einer kleinen Strasse in die Berge fahren, die Leute müssen hier hoch laufen oder sie werden mit einem Van hochgefahren.

Also ist es eine Expedition für das Publikum und für die Bands. Und dann die Bühne: Sie gibt es nicht, man spielt in der Natur. Der Boden ist nicht flach, man muss also vorsichtig sein wohin man steht.

Marco Mottolini: Und es ist heiss.

Stavros: Und du siehst nicht viel, es blendete in den Mittagsstunden. Doch obwohl es heiss ist und man nicht viel sieht ist es sehr schön. Die Umgebung ist einmalig.

Marco: Es herrscht ein wirklich guter Vibe. Die Crowd versteht sich, die Leute sind wirklich hier für die Musik und das Ambiente.

«Als wir starteten, flog ein Huhn auf die Bühne und wir mussten uns mit Kühen und Ziegen rumschlagen.»

frachtwerk: Würdet ihr es als euer bisher speziellstes Event ansehen?

Stavros: (lacht) Wir haben so viele Shows gespielt, es ist schwierig diese als die speziellste hervorzuheben.

Marco: Wir haben bereits vor Bergen und Tieren gespielt.

Stavros: Ja, das haben wir! Wir haben Verrückteres gemacht als das, denn das ist ziemlich organisiert. Wir haben an einem etwas Kleinerem mitgemacht. Wir mussten die Amps durch Schweinemist tragen, um zur Bühne zu kommen. Und als wir starteten, flog ein Huhn auf die Bühne und wir mussten uns mit Kühen und Ziegen rumschlagen. Eine Ziege kletterte in unseren Van, in dem wir unser Gear hatten.

Marco: Ein anderes spezielles Konzert war in Almeria, Spanien. An dem Ort, an dem alle «Spaghetti-Western-Filme» gefilmt wurden. Da waren der Sonnenuntergang und die Aussicht  intensiv. Wir machten ein Video dazu, es wird für immer in Erinnerung bleiben.

frachtwerk: Ihr habt vergangenes Jahr ein Album veröffentlicht. Wann dürfen wir Neues von euch erwarten?

Stavros: Wir werden ein Neues im Oktober veröffentlichen.

«Wir haben kein gegebenes Genre, wir folgen der Musik, wo immer sie uns hinzieht.»

frachtwerk: Was können wir vom neuen Album erwarten? Wie habt ihr die Songs produziert?

Stavros: Ich denke für dieses Album wie auch all unsere anderen gilt: Erwarte das Unerwartete. Wir haben kein gegebenes Genre, wir folgen der Musik, wo immer sie und hinzieht.

Das nächste Album ist beispielsweise viel mystischer als Bisherige. Es hat weniger Verzerrung auf der Gitarre, es ist weniger Rock-orientiert. Es geht mehr in die Richtung des Psychedelic, Folk und Indie. Es strahlt einen ziemlich anderen Vibe aus. Wir freuen uns, es zu veröffentlichen, es ist eine ganz neue Story.

Marco: Es liegt viel Freiheit in dem Album. Wir haben einfach gespielt und uns für das entschieden, das uns gut dünkte. Wir folgten keiner konventionellen Struktur.

frachtwerk: Eine erste Single-Auskopplung aus dem nächsten Album  heisst «Melodies from distant shores», wie werdet ihr die darauffolgende Platte nennen?

Maxime Cosandey: Das neue Album heisst «Dreaming in Dystopia».

«Die Melodien befreien den Geist, lassen dich auf spirituelle Art verreisen.»

frachtwerk: Der Name setzt voraus, dass ihr am Experimentieren wart oder eine Reise gemacht habt. Wie seid ihr darauf gekommen?

Stavros: Es ist schwierig dies zu erklären, denn es geht um den Songtext. Aber es ist eigentlich ein Song, der von einem kleinen Ort an einem kleinen Fluss in Fribourg inspiriert wurde. Also sehr nahe von da wo wir leben. Die Inspiration der Melodien kommt von weiter weg. Sie befreien den Geist, lassen dich auf spirituelle Art verreisen. Das ist die kurze Antwort darauf.

frachtwerk: Ihr seid inspiriert von ikonischen Bands wie The Doors oder Pink Floyd. Sieht ihr Parallelen zwischen eurer und ihrer Musik oder wie unterscheidet ihr euch von ihnen?

Stavros: Wir haben alle unsere Musikgeschmäcker. Wir als Band, wir drei, tauschen uns gegenseitig sehr oft mit Musik aus. Unsere Band ist eine musikalische Reise, die wir gemeinsam machen. Gemeinsam wollen wir immer neue Wege gehen.

Dabei ist es wichtig, sich der musikalischen Geschichte bewusst zu sein. Man sollte wissen, was in der Vergangenheit geschah, und gleichzeitig was die aktuellen Trends sind. Dazu gehört viel Leidenschaft. All diese Bands mögen wir, denn sie repräsentieren musikalische Freiheit. Das ist vielleicht etwas, was heutzutage etwas abhanden gekommen ist, da man die Musik überall hin nehmen kann.

frachtwerk: Wenn ihr zusammen seid, wie kreiert ihr einen Song?

Marco: Stavros komponiert den Song und schreibt auch die Lyrics. Er geht zum Proberaum und bringt die Ideen mit. Dann jammen wir zusammen und schauen, wie weit wir kommen. Die nächste Single, die nächste Woche veröffentlicht wird, ist während zehn Jahren entstanden. Es dauerte lange, bis wir alle fanden, dass sie fertig ist. Aber so läuft das halt bei uns.

Stavros: Wir alle sind sehr glücklich, Musik zu machen mit unseren besten Freunden. Wir sind in der Lage, so viel zu teilen. Es ist auch eine Band, in der alle künstlerisch involviert sind. Wir ergänzen uns super – und kreieren sogar das Albumcover jeweils selbst.

«Wir haben keine Nebenjobs. Das ist manchmal hart, weil man damit nicht ganz ernstgenommen wird.»

frachtwerk: Ihr als Schweizer Band: Habt ihr alle Nebenjobs oder ist die Band nun euer einziges Einkommen?

Marco: Es sind nun sieben Jahre vergangen, ehe wir uns dazu entschieden haben, uns nur noch auf die Band zu fokussieren. Wir haben also keine Nebenjobs. Das ist manchmal hart, weil man damit nicht ganz ernstgenommen wird.

Klingt komisch, aber: Es ist wahrscheinlich einer der härtesten Jobs, den man sich vorstellen kann. Ich war vorher ein Ingenieur, arbeitete für internationale Firmen und hatte grosse Projekte.

Als Musiker aber hat man keine Ferien, keine Freizeit, man muss sich wirklich reingeben. Einen Schweizerischen Durchschnittslohn zu erhalten, ist absolut unmöglich für uns. Wir leben wirklich mit dem minimalsten Einkommen, das du dir vorstellen kannst.

Stravros: Unter dem minimalsten Einkommen, das du dir vorstellen kannst (lacht).

Marco: Wir leben mit weniger als 2’000 Franken. Und doch leben wir gut. Als ambitionierte Band kommen wir auf der ganzen Welt herum. Dennoch finde ich, dass es Verbesserungen gibt, die der Staat umsetzen könnte, um Dinge für jene Künstler*innen, die sich ausdrücken wollen und dafür jeden Tag arbeiten, etwas einfacher zu machen.

«Es war noch nie einfacher als jetzt, ein*e Schweizer Künstler*in zu sein.»

Stravos: Kontrastierend zu dem was Marco gesagt hat, war es noch nie einfacher als jetzt, ein*e Schweizer Künstler*in zu sein. Denn es gibt das Internet, Spotify. Klar, damit machst du kein Geld, aber du kannst als internationaler Kunstschaffender existieren.

Vor zwanzig Jahren wäre es viel schwieriger gewesen, als kleine Band schnell internationalen Anklang zu finden und in verschiedenen Europäischen Ländern zu spielen als heute.

«Es war nicht bloss der Erfolg, warum wir zusammenblieben, wir taten es aus voller Leidenschaft.»

frachtwerk: Was hält ihr von der Schweizer Rockszene im Allgemeinen? Wo ordnet ihr euch darin ein?

Stravos: Das ist eine schwierige Frage, die ich nicht gut einschätzen und beantworten kann. In unserem Rock-Genre jedenfalls gibt es in der Schweiz kaum andere Bands, die das professionell und hauptberuflich machen. Denn die Szene ist klein und so ist es auch unser Land, in dem wir leben.

Rockmusik wurde gemerell global sehr klein, sie war in den 60er-, 70-er, sogar in den 90er-Jahren eine riesengrosse Szene. Ich habe den Eindruck, dass Rock-Musik in den letzten zehn Jahren ihren Tiefpunkt erreicht hat. Aber wenn die Dinge am Schwierigsten sind, gibt es eine gute Chance auf Wachstum.

Ich mag die Ära in der wir leben. Wir haben in sehr kleinen Kellern und schlechten Venues gespielt, haben in Grossbritannien vor fünf Leuten gespielt. Es gab mehrere Momente, an denen wir alles hätten beenden können. Es war hart. Aber wenn man an sich glaubt, macht das die Reise noch schöner.

Wenn wir zurück an unsere Anfänge denken, sind wir stolz darauf, was wir erreicht haben. Ich mag es, dass die Musik so stark war, die Kraft innerhalb der Band so stark war, dass wir bis heute zusammenbleiben. Es war nicht bloss der Erfolg, warum wir zusammenblieben, wir taten es aus voller Leidenschaft. Jetzt sind wir  glücklich, um den ganzen Planet bereisen zu dürfen.

Marco: 9-Stunden-Fahrt morgen zum nächsten Konzert nach Köln.

Stravos: Ja, wir schätzen dies sehr (lacht).

 

Interview: Gregory Li
Bild: Jan Rucki

 

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