«Unsere Musik handelt von den Gefühlen schwarzer Frauen» Big Joanie im Interview7 min read
Reading Time: 5 minutesBig Joanie spielte am sechsten Tag des «Rocklette» auf der Waldbühne in der Verbier-Region. Im Gespräch mit frachtwerk erzählen Stephanie Williams, Chardine Taylor-Stone und Estelle Adeyeri von den Reaktionen auf ihren Erfolg, Politik in ihrer Musik und abgelehnten Konzertanfragen.
frachtwerk: Wie war es heute in den Schweizer Alpen zu spielen?
Stephanie: Es machte viel Spass, es war unsere erste Erfahrung hoch in den Alpen zu spielen. Es war sehr sonnig und sehr heiss (lacht).
Estelle: Unsere Instrumente waren sehr heiss (lacht). Es war spassig, eine solch schöne Umgebung.
Chardine: Sehr saubere Luft.
frachtwerk: Wie steht es um eure Show-Pläne diesen Sommer?
Chardine: Letztes Wochenende waren wir in Polen.
Estelle: Ja, wir hatten ein paar Festivals im Sommer. Wir starteten mit dem Glastonbury im Frühsommer im Vereinigten Königreich und waren am Bluedot und gingen in die Staaten für eine Woche. Wir hatten Auftritte in New York, Chicago und hatten dann eine weitere Pause. Wir werden im September zurück in den USA sein und im Oktober spielen wir eine EU-Tour. Wir werden also in Deutschland sowie Frankreich und Belgien auf grosse Tour gehen.
«Wenn Leute, die wir lieben, mögen was wir machen, dann machen wir hoffentlich das Richtige.»
frachtwerk: Ihr wart bereits mit Bands wie Idles oder Gossip auf Tour. Ihr hattet die Möglichkeit, mit The Pixies zusammenzuarbeiten. Was löst dies bei euch aus?
Stephanie: Es ist surreal, dass wir unterdessen mit so vielen Bands wie Idles oder anderen, die unsere Vorbilder sind, zusammenarbeiten konnten. Es startete sehr zufällig, als wir auf Thurston trafen und er unser erstes Album veröffentlichen wollte. Seither war es eine Anhäufung von mehr und mehr Kollaborationen mit Leuten, die wir von klein auf bewunderten. Es bestärkt uns darin, dass wir ein Verständnis darüber haben, was wir machen und worauf wir abzielen. Dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Wenn Leute, die wir lieben, mögen was wir machen, dann machen wir hoffentlich das Richtige.
«Wieso wir existieren ist eine politische Sache»
frachtwerk: Versteht ihr euch eher als politische Band oder eine, die sich selbst ausdrückt?
Chardine: Sehr gute Frage! Unsere Lieder sind nicht allzu politisch. Es ist nicht so, «ah, die Patriarchie», wie Bikini Kill. Aber wieso wir existieren ist eine politische Sache. Und auch was wir auf der Bühne sagen und was wir dem Publikum zu hören geben wollen, wenn wir spielen. Ich denke oft, wenn Leute eine politische Band zu hören erwarten, kann dies zu offensichtlich sein. Gleichzeitig denke ich, dass die Welt sich nicht um schwarze Frauen oder was sie fühlen kümmert. Und ich finde, in unserer Musik geht es eben um die Gefühle schwarzer Frauen. Und das in sich ist ein politisches Ding. In diesem Sinne denke ich, sind wir eine politische Band, aber nicht eine politische Band, wie Leute sich eine solche vorstellen.
Stephanie: Es geht darum, unsere Menschlichkeit zu zeigen. In einer Welt, die die Menschlichkeit schwarzer Frauen häufig aberkannt. Ebendiese präsentieren wir auf der Bühne.
frachtwerk: Estelle hat kurz vor dem Interview erwähnt, dass sie in London gross wurde. Wie ist das bei euch?
Stephanie: Ich wuchs an einem Ort ausserhalb Londons auf, genannt Midland, das in der Mitte des Vereinigten Königreichs liegt. Es ist völlig landumschlossen.
Chardine: Birmingham, Northampton. Ich wuchs in Ostlondon auf und auch in Ostmidland.
«Jetzt, wo es all diese feministischen Bands Punk-Bands gab, die gekommen und wieder gegangen sind, ist es einfacher für Londoner Frauen in Bands zu sein»
frachtwerk: Was hält ihr von der Londoner Musikszene und spielt da schwarzer feministischer Punk eine Rolle?
Stephanie: Für eine Zeit war es so.
Estelle: Feministischer Punk auf jeden Fall.
Stephanie: Feministischer Punk war sehr gross als ich zum ersten Mal nach London zog im Jahre 2010. Feministischer Punk war sehr queer und sehr politisch. Ich denke, das wurde sehr bekannt. Beinahe Mainstream – ich meine, die meisten Indie-Bands würden heutzutage sagen, sie sind feministisch. Früher war dies nicht so.
Chardine: Welche Bands? Da waren wir, die Band Shopping, Trash Kit, Petrol Girls, die toll sind. Es gab eine feministische DIY-Szene. Ich finde jetzt, wo es all diese feministische Punk Bands gab, die gekommen und wieder gegangen sind, ist es einfacher für Londoner Frauen in Bands zu sein.
Gleichzeitig passierte es auch, dass die Musikszene diese Frauenbands entdeckte und entschieden hat, dass sie möglichst viele Frauenbands anwerben. Vor einer schönen feministischen Band fürchtet man sich weniger. Sie werden gut und schön sein und werden Mainstream super akzeptiert. Aber die Szene, der wir entstammen – wir waren nicht interessiert daran, an dem Mainstream dieser Art teilzuhaben. Es war mehr eine Tradition weisser Frauen. Egal mit was, ob Mode oder Musik, jemand da oben wird den Underground und sagen, daraus machen wir jetzt etwas. Dann wird die Musik mainstream-fähig gemacht und die Band stark monetarisiert.
frachtwerk: Bezogen auf Festivals oder Anfragen von Bookers: Habt ihr bereits eine Buchungsanfrage abgelehnt, da ihr dachtet, es würde eurer politischer Einstellung nicht entsprechen?
Chardine: Eine weitere gute Frage (lacht).
Chardine: Die Show in Bristol!
Estelle: Ja, das war ein Lineup, das nach der Black Lives Matter-Bewegung entstand, als Leute Diversität und Lineups etwas stärker diskutierten. Wir waren die einzigen PoC (People of Colour), die auf dem Festival spielen sollten und haben aber musikalisch überhaupt nicht in das Programm gepasst. Ich denke, man merkt, ob die Leute probieren, ein wirklich interessantes Lineup über mehrere Genres hinweg zu organisieren und sich mit der Musik auseinandersetzten. In diesem Fall hatten sie aber einfach gemerkt, dass das Programm noch zu wenig divers war und fragen somit uns an. Wir finden es wichtig, dass unsere Musik ins Gesamtprogramm passt. Wir wollen, dass dies anerkannt wird, nebst dem, dass wir den Leuten sagen, dass wir eine schwarze feministische Punk-Band sind. Die Musik ist genauso wichtig.
«Warum machen diese schwarzen Frauen keine Black Musik? Das fragt sich die Musikbranche.»
Chardine: Es ist erstaunlich, dass wir manchmal an Festivals eröffnen mitten am Nachmittag und gegen Abend ausschliesslich weisse Männer-Bands spielen, die um einiges weniger musikalische Erfahrung haben als wir und gerade ihr zweites Konzert spielen. Das ist etwas mühselig. Es gibt hingegen viele alte, weisse Leute, die unsere Band mögen, wenn sie uns gesehen haben. Sogar heute an diesem Festival, der eine Typ, der vielleicht in seinen Sechzigern ist und sagte «ich glaube, ich sah euch am South by Southwest vor drei Jahren kann ich ein Foto mit euch machen?». Die Leute sollten verstehen, dass Big Joanie viele ansprechen. Teilweise ist die Musikindustrie aber so darauf getrimmt, dass sie Bands, die bereits erfolgreichen ähneln, mehr Chancen geben als solchen, die für die Musikbranche etwas «ungewöhnlicher» sind.
«Sei die «big Joane» oder die grosse, selbstbewusste Frau, die du sein willst»
frachtwerk: Zwei letzte Fragen: Woher kommt der Name Big Joanie?
Stephanie: Big Joanie war ein Name, den ich als cool empfand. Also grundsätzlich heisst meine Mutter Joan. Also dachte ich, ich nenne die Band nach ihr, – also Joanie. Und dann Big Joanie kam daher, dass ich karibische kulturelle Konversationen sehr mag. Man benützt den Begriff «big», um über Erwachsene zu sprechen, wie zum Beispiel zu einer «big people’s parties» zu gehen. Die Idee von Big Joanie war es als Begriff einer starken, selbstbewussten Frau. Sei die «big Joane», die du sein willst oder sei die grosse, selbstbewusste Frau, die du sein willst.
frachtwerk: Ihr habt euer letztes Album 2022 veröffentlicht.
Estelle: Ja, das zweite Album.
frachtwerk: Wann veröffentlicht ihr euer nächstes Album?
Chardine: Wir wollen eine EP machen. Der Tradition der Cocteau Twins EPs angelehnt. Unser Management bei der Union ist Ivor Raymonde und Simon Raymonde von Cocteau Twins. Die Kraft der EP sagt viel über sich aus. Danach denken wir über unser drittes Album nach. Aber ich denke, das zweite Album ist verglichen zum ersten Album eine so grosse Entwicklung musikalisch und kreativ gesehen – irgendwie wuchs alles massiv. So denke ich, wird unser drittes Album wunderbar (lacht). Ich verkaufe es jetzt. Aber ich denke, ein paar Ideen, die wir besprachen, waren zu experimentieren, mit einer schwarzen Künstlerin zu arbeiten, unterschiedliche Instrumente in verschiedenen Songs einzubauen. Aber allgemein sind wir eine sehr albumorientierte Bands. Zu Hause dachten wir darüber als ein Album. Wir sind alle grosse Fleetwood Mac Fans. Das Album, die zwei Seiten, was wird die Atmosphäre und Ambiance und der Sound des Albums. Wir arbeiten dahin, das ist was wir tun.
frachtwerk: Danke für eure Zeit.
Chardine: Danke vielmals.
Interview: Gregory Li
Bilder: Jan Rucki