«Alle meine Freundinnen hatten schon ein Date mit einem Nino» – Yvonne Eisenring im Interview7 min read
Reading Time: 5 minutesRechtzeitig zum Beginn des Sommers ist der erste Roman «Nino – Und der Wunsch nach mehr» von Yvonne Eisenring erschienen. Man kann das Buch gut in einem Rutsch lesen. Nicht weil es nur 190 Seiten hat, sondern weil es nie langweilig wird. Die Zürcher Autorin Yvonne Eisenring verbringt, wie der Protagonist des Buches «Nino», viel Zeit in New York. Nebst dem Schreiben von Drehbüchern, Theaterstücken und Büchern spricht sie bei ihren beiden Podcasts «Wahrheit, Wein und Eisenring» und «Zivadiliring» (mit Gülsha Adilji und Maja Zivadinovic) unter anderem über Tabuthemen. Aus New York hat uns Yvonne Eisenring einige Fragen beantwortet:
frachtwerk: Liebe Yvonne, wie würdest du dein Buch «Nino» unseren Leser:innen vorstellen und warum sollten sie es, gleich nach dem lesen dieses Interviews, bestellen?
Yvonne Eisenring: Ich bekomme viele Nachrichten von Leuten, die schreiben, dass sie sonst nie Bücher lesen, aber ‹Nino› in kürzester Zeit verschlungen hätten. Ich glaube also, es ist nicht zuletzt für alle, die kaum oder nie ein Buch lesen, eine gute Lektüre. Der Roman handelt von Nino, einem typischen Millennial, dessen Dasein sich um Sex und die Sehnsucht nach mehr Sinn im Leben dreht. Nach mehreren unangenehmen Zwischenfällen flüchtet er nach New York und verliert sich dort in der modernen Spiritualität. Das Buch wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was aufzeigen soll, wie unterschiedlich wir die Realität wahrnehmen.
frachtwerk: «‹Nino› erzählt die Geschichte einer Generation, die den Glauben an die Welt verloren, aber die Hoffnung auf Wunder nie aufgegeben hat.» – So steht es auf dem Backcover des Buches. Hast du manchmal auch das Gefühl, den Glauben an die Welt verloren zu haben?
Yvonne Eisenring: Ich bin eine leidenschaftliche Optimistin und unerschütterlich hoffnungsvoll. Also, es gibt Bereiche, da bewegt sich die Welt stark in die falsche Richtung und bei einigen Themen geht es zu langsam vorwärts. Aber ich habe den Glauben an die Welt nicht verloren, nein.
frachtwerk: Inwiefern haben dich die vielen Geschichten über Beziehungen und «Situationships», welche ihr auch im «Zivadiliring» Podcast besprecht, dazu inspiriert dieses Buch zu schreiben?
Yvonne Eisenring: Die Personen, ihre Probleme und Erlebnisse, sind mir sehr nah. Mein Ziel und Wunsch war es, mit ‹Nino› unsere Generation und die Gesellschaft der heutigen Zeit zu spiegeln. Wenn mir ältere Leser:innen sagen, sie hätten es spannend gefunden, einen Einblick in meine Generation zu bekommen und wenn mir Gleichaltrige schreiben, dass es «genau so» ist, denke ich, hat das gut funktioniert.
frachtwerk: Du hast beim Schreiben zwischen der männlichen und mehreren weiblichen Perspektiven hin und her gewechselt. Ich weiss, dass es mir als Frau leichter fallen würde, beim Schreiben die weibliche Position einzunehmen. Wie bist du beim männlichen Standpunkt vorgegangen?
Yvonne Eisenring: Ich habe sehr viele Gespräche mit den Männern in meinem Leben geführt. Ich glaube, ich verstehe mittlerweile oft, warum sie denken und handeln, wie sie denken und handeln. Zugegeben, wenn ich involviert bin, finde ich vieles trotzdem unverständlich. Für das Buch habe ich dann noch explizit Männer um ihre Meinung zu einzelnen Szenen gefragt und ihnen das Manuskript zum Lesen gegeben.
frachtwerk: Nino verkörpert für viele nicht gerade das emotionale Bild eines klassischen Traummannes. Was würdest du einer Freundin raten, die gerade ein Date mit Nino hatte?
Yvonne Eisenring: Alle meine Freundinnen hatten schon ein Date mit einem Nino. Nino ist ein sehr typischer Mann meiner Generation. Ich persönlich mag Nino, aber wohl auch, weil ich hinter die Fassade sehe. Würde eine Freundin ihn daten, würde er sich niemals so verletzlich und offen zeigen. Ich würde einer Freundin vermutlich viel Spass wünschen, denn ich glaube, Nino hat gute Manieren, ist klug, charmant und schlagfertig, aber ich würde ihr vermutlich sagen, dass sie versuchen sollte, sich nicht zu verlieben, weil er emotional nicht wirklich verfügbar ist. Aber das bringt ja eh nie etwas. Wenn sie sich verliebt, dann wäre ich ihr eine gute Freundin und würde bei allen Auf und Abs an ihrer Seite sein.
frachtwerk: In den sozialen Medien teilst du die wohlverdienten, sehr positiven Rückmeldungen zu deinem Buch. Vorwiegend scheinen diese Rückmeldungen von Frauen zu kommen. Welche Rückmeldungen hast du von männlichen Lesern erhalten? Gab es auch Personen die sich angegriffen fühlten oder negative Meinungen äusserten?
Yvonne Eisenring: Ich bekomme auch viele Rückmeldungen von Männern, was mich sehr freut. Männer sind aber anscheinend nicht so begeisterte «ich-fotografiere-das-Buchcover-im-Urlaub»-Leute. Das machen tatsächlich eher Frauen. Deshalb sind die Bilder bei mir auf Instagram mehrheitlich von Frauen. Es waren aber zum Beispiel zwei Männer, die mir schreiben, sie hätten am Schluss des Buches geweint und es sind auch viele Männer, die mir sagen, sie würden nie lesen, hätten ‹Nino› aber sehr gerne gelesen. Es ist fast unheimlich, aber ich habe bis jetzt noch keine schlechte Kritik bekommen – auch nicht von Männern.
frachtwerk: Warst du überrascht, wie viele Personen gewisse Muster von Nino in ihren vergangenen Beziehungen wiedererkannten?
Yvonne Eisenring: Überhaupt nicht. Wir alle, besonders wir Millennials, haben einen Teil von Nino in uns. Stärker oder weniger stark ausgeprägt. Nino ist ja auch eine vielschichtige, komplexe Figur. Ich finde es logisch, dass wir ihn in uns und unseren Beziehungen wiedererkennen.
frachtwerk: Kannst du dich mit einer der Personen im Buch besonders identifizieren oder hast du viel aus den Erfahrungen anderer geschöpft?
Yvonne Eisenring: Ich kann den meisten sehr gut nachempfinden. Und einzelne Charakterzüge sind mir ähnlich. Aber ich bin keine der Figuren. Wer mir wohl am fremdesten ist, ist Jane Bay. Aber auch sie verstehe ich in gewissen Situationen.
frachtwerk: Ich war beim Lesen oft genervt oder sogar etwas wütend auf Nino. Wie hast du dich gefühlt, währenddem du dieses Buch geschrieben hast?
Yvonne Eisenring: Oh, ich war auch sehr oft wütend auf ihn! Das Interessante am Romanschreiben, oder auch am Schreiben eines Theaterstücks oder eines Drehbuchs, einfach bei allen fiktiven Geschichten, ist ja, dass man die Figuren Dinge tun lassen darf und muss, die man selber blöd findet. Damit Spannung entsteht, muss man sie mitunter leiden, scheitern und anders handeln lassen, als man selber handeln würde. Das ist nicht immer einfach und oft auch aufreibend. In meinem Kopf habe ich mir oft zurechtgelegt, wie es sein könnte, wenn Nino etwas anderes tun würde. So wie man das im eigenen Leben macht. Man geht in die Vergangenheit oder auch in die Zukunft und malt sich aus, wie es denn (gewesen) wäre, wenn man das getan hätte oder dies sagen würde und dann spinnt man ewig lange Geschichten, die nie Realität werden.
frachtwerk: Konntest du beim Schreiben auch eigene gescheiterte Beziehungen verarbeiten?
Yvonne Eisenring: Nein. Ich schreibe nie über Themen, die ich nicht schon verarbeitet habe. Das finde ich eine wichtige Regel. Natürlich zehre ich von persönlichen Geschichten, aber so lange sie mich aufwühlen, schreibe ich nicht darüber.
frachtwerk: Wann können wir uns auf dein nächstes Buch freuen?
Yvonne Eisenring: In einem halben Jahr erscheint schon mein nächstes Buch. Das ist Zufall, dass es so bald ist. Ich habe die erste Fassung von Nino vor drei Jahren geschrieben und diese dann sehr oft und lange überarbeitet. Im letzten Jahr ist ein neues Buch entstanden. Es erscheint Ende März bei PIPER und ist ein non-fiction Roman über meine letzten fünf Jahre, die ich mehrheitlich in Städten wie New York, Paris und Buenos Aires verbracht habe. Ich schreibe darüber, warum ich nicht nach den Erwartungen lebe, die man an eine Frau Anfang dreissig hat, wie ich mich der traditionellen Arbeitsweise widersetze und die herkömmliche Nutzung der Zeit hinterfrage. Die Buchvernissage ist am 10. April 2024 im Kaufleuten in Zürich. Sie wird von Gülsha moderiert und ich freue mich schon jetzt sehr darauf!
Fotos: Mirjam Kluka
Buch: Verlag sechsundzwanzig