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Der Wert kaputter Dinge – Ein Besuch in der Ausstellung «Repair Revolution!» des Museums für Gestaltung Zürich6 min read

11. September 2023 5 min read

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Der Wert kaputter Dinge – Ein Besuch in der Ausstellung «Repair Revolution!» des Museums für Gestaltung Zürich6 min read

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Wir produzieren zu viel Müll. Das ist klar. Damit schaden wir unserem Planeten. Einerseits durch toxische Müllberge in Drittweltländern, andererseits durch die endlose Ausbeutung von Ressourcen. Doch was kaputt ist, muss nicht gleich Müll sein. Denn es gibt fast nichts, was man nicht reparieren kann oder könnte. Das zeigt uns die Ausstellung «Repair Revolution!» des Museums für Gestaltung und führt uns durch ihre Vision einer Reparaturgesellschaft.

Text von Stefanie Bumbacher

Wer kennt es nicht? Der Handyakku, der nach zwei Jahren nur noch halb so gut funktioniert, der Stabmixer, der plötzlich den Geist aufgegeben hat oder die Lieblingshose, die einen hässlichen Weinflecken abbekommen hat, den man nie ganz wegbekommt. Wir ärgern uns, dass diese Produkte kaputt gehen. Wir wollen sie reparieren, flicken, oder Einzelteile davon ersetzen, sodass sie wieder einwandfrei funktionieren. Doch meistens stellen wir nach eigener Recherche oder Auskunft eines Verkaufspersonals fest, dass sich eine Reparatur gar nicht lohnt, da sie oft kostspieliger ist als die Neuware selbst. Und das ist absichtlich so.

Dieser geplante Alterungsprozess und das immer schnellere Kommen und Gehen von Trends begannen ungefähr vor hundert Jahren. Damals, zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise, bemerkten Unternehmen, dass Langlebigkeit von Produkten den wirtschaftlichen Aufschwung bremst. Denn es werden weniger Produkte verkauft, wenn diese lange halten. Wenn mal also durch das Design den Verschleiss von Gegenständen früher planen kann, kann man auch mehr davon verkaufen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Nylon Strümpfe, die 1940 neu auf den Markt kamen. Zuerst priesen die Erfinder der Strümpfe noch mit deren Langlebigkeit und unglaublicher Belastbarkeit, doch kurz danach bemerkten sie, dass die Strümpfe zu gut waren. Die chemische Formel für die Strümpfe wurde dann langsam angepasst, sodass sich wieder Laufmaschen bildeten.

 

Eine kleine Geschichte des Kapitalismus

Diese und andere Stories lese ich von der Timeline am Eingang der Ausstellung ab. Dabei erkenne ich, wie wir als Konsumenten seit Jahrzehnten umprogrammiert worden sind, sodass für uns Neuware als das höchste Gut gilt. Wir folgen dem ewigen Wunsch des Neuen und Besseren. Reparieren gilt seither nur noch für Menschen, die es sich nicht leisten können, ein kaputtes Produkt zu ersetzen. Passend dazu sind die Mantras, die zu einer Videoinstallation gehören und im ganzen Raum leicht zu hören sind: «New things. I hate old things. Ending is better than mending.» Sie verbildlichen die Gehirnwäsche, die unsere Gesellschaft im letzten Jahrhundert durchgemacht hat.

In der Ausstellung werden jedoch auch die kritischen Stimmen seit den 1960er Jahren gezeigt. Diese veranschaulichen in öffentlichen Werken, wie Käufer:innen über den Tisch gezogen werden und was für Konsequenzen diese Entwicklung mit sich bringt. Diese Stimmen hielten bis jetzt an und gewannen in den letzten Jahren an Relevanz. Sie setzen sich unter anderem global für das «Right to Repair» ein.

Lösungsorientiert und innovativ

Doch wie sieht eine Reparaturgesellschaft aus? In der Ausstellung treffen Besucher:innen auf Vorschläge und Lösungsansätze aus aller Welt. Meiner Meinung nach kann man diese Vorschläge in drei Kategorien teilen: Produktdesign, Upcycling und soziale Initiativen. Da der Entwurfsprozess meist die Reparierbarkeit der Dinge bestimmt, müssen wir Produkte innovativ designen, um das Ziel einer Reparaturgesellschaft zu erreichen. In «Repair Revolution!» sind modular aufgebaute Kopfhörer oder Schuhe zu sehen, die genau mit dieser Idee von Austauschen, Ersetzen und Reparieren hergestellt worden sind. Das Upcycling ist ein weiterer Weg zur Reparier-Revolution. Hierzu sind unterschiedliche Beispiele ausgestellt. Zu bestaunen sind mitunter ein mit Pappe geflickter Staubsauger oder Tellerscherben, die neu glasiert und zu einzigartigen Tellerstücken geworden sind.

Spannend finde ich vor allem auch den sozialen Aspekt des Reparierens, worauf in der Ausstellung ein Fokus gelegt wird. Soziale Initiativen und Kollektive vermitteln das Reparatur-Know-How an interessierte Leute aus der Gemeinschaft. Ein Beispiel für das gemeinschaftliche Reparieren ist die Repair-Café Initiative, die vor mehr als zehn Jahren in Amsterdam startete und heute weltweit über tausend solcher Cafés zählt. In der Schweiz gibt es über 200 Repair-Café Events, wo man mithilfe Reparaturprofis seine Alltags- und Gebrauchsgegenstände reparieren kann. Auch die Ausstellung nutzt das Konzept des kollektiven Reparierens. An ausgewählten Tagen gibt es Reparatur Veranstaltungen mit Mitarbeiter der Zürcher Flickbar oder dem Taschenlabel Freitag.

 

Was bedeutet Besitz?

«Repair Revolution!» lädt zum Umdenken ein. Ein Video von Industrial Design Studenten der ZhdK (Zürcher Hochschule der Künste) wirft Fragen des Wertes und Besitzes von Gegenständen auf und regt dadurch meine Gedanken an. Ich frage mich, ob man Besitz nicht neu definieren sollte. Wieso haben wir den Anspruch Dinge für uns alleine zu beanspruchen, wenn die Ressourcen für die Produktion nur durch ein erfundenes Konzept unserer Gesellschaft zu Besitz gemacht wurden? Ich reflektiere über meinen eigenen Drang nach Besitz und Eigentum und finde es plötzlich unverständlich, wieso ich will, dass mir Dinge gehören. Es wäre doch auch schön, wenn wir uns nicht gegenseitig durch unsere Besitzansprüche von einander abgrenzen sondern in einer Gemeinschaft des Teilens leben würden. Dadurch würden Dinge wahrscheinlich öfter wiederverwendet, was schliesslich auch automatisch die Müllproblematik reduzieren würde. Mir fällt jedoch auf, dass wir als Gesellschaft (noch) nicht bereit für die Repair Revolution sind, weil wir uns immer noch zu sehr auf neue Gegenstände fokussieren. Unsere ganze Wirtschaft ist darauf ausgelegt und unsere Mentalität hat sich von der Gehirnwäsche in den 1930er Jahren noch nicht erholt.

Celia Pym, Norwegian Sweater, 2010, Foto: Michele Panzeri

Kleine Lösungen für grosse Probleme

Als ich durch die ganze Ausstellung gegangen bin, setze ich mich an den Tisch in der Mitte des Raumes, an dem man sich textile Reparaturtechniken aneignen kann, lasse meinen Eindruck von «Repair Revolution!» sickern und ordne meine Gedanken dazu auf meinem Notizblock. Für mich brachte der Inhalt der Ausstellung keine fundamental neuen Erkenntnisse. Er zeigt jedoch bildlich und detailliert auf, was man schon über die Auswirkungen der Konsumgesellschaft weiss. die Ausstellung gibt kleine Antworten auf einige unserer zeitgenössischen Probleme, indem sie Geschichten von Leuten erzählt, die die Reparaturgesellschaft vorantreiben und neu erfinden. Das regt die Gedanken der Besucher:innen an und es tauchen Fragen auf, die man sich vielleicht noch nie gestellt hat. Für mich liegt darin der Wert der Ausstellung.

Ich realisiere, dass Reparieren, obwohl es nur ein Symptom unserer grossen Probleme adressiert, mehr Anerkennung verdient hat. Durch selbstständiges Reparieren von Produkten verstehen wir deren Zusammensetzung und Funktionen und können dadurch dem Kauf-Wahn entgegenwirken. Dabei erfinden wir den Wert des Gegenstandes neu und können in Zukunft bessere Konsumentscheidungen treffen. Am Ende soll Reparieren auch Spass machen. Es ist ein Akt der Kreativität, des Selbstausdruck und ein kleines «fuck you» an die Wegwerfgesellschaft.

 

 

 

Die Ausstellung „Repair Revolution!“ steht noch bis am 15. Oktober 2023 im Toni Areal des Museums für Gestaltung in Zürich. Der Eintritt unter 16 Jahren ist frei. Für Studierende, Gruppen und Senior:innen kostet er 8.- CHF für ein, 10.- CHF für beide Standorte des Museums. Die regulären Ticketpreise für Personen über 16 sind 12.- CHF für ein und 15.- CHF für beide Standorte.

Fotos: Ausstellung Repair Revolution! im Museum für Gestaltung Zürich, 31. März –15. Oktober 2023,  Foto: Susanne Völlm © ZHdK
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