Die Macht in jedem Augenaufschlag – «Gazing back» vom Kollektiv Dionysos2 min read
Reading Time: 2 minutesWohin wandert mein Blick? Und wodurch ist er geprägt? Das Kollektiv Dionysos zeigt im Neubad vor ausverkauften Rängen eine performative Recherche von FINTA* Personen. Gazing back ist eine Recherche zum patriarchalem Gaze und der Macht der Dominanzgesellschaft. Das Stück zeigt, wie schnell das Gegenüber zum Objekt wird. Und wie viel Macht in jedem Augenaufschlag liegt.
Alles beginnt mit einem Monolog über Machtgefälle und Flirt. Der zum Objekt gemachte Mensch, der die Blicke auf sich nicht kontrollieren kann, wird hier auch auf das Theater übertragen. Das Publikum soll in der nächsten knappen Stunde seine Blickführung beobachten. Denn auch zwischen Publikum und Auftretenden verläuft ein Gefälle. Die Betrachteten sind den Blicken der Betrachter:innen ausgeliefert. Die erste Station der Performance: Ein Tanz in Higheels und Sporthosen. Die Augenpaare des Publikums haften auf der Tänzerin. Oder auf deren Schatten, der sich auf den weissen Kacheln des Neubads abzeichnet.
Die Back-gazer, das sind Wesen, die sich mit jedem (An-)Blick verändern. Die anfängliche Erzählung bettet die Darsteller:innen in eine magische Welt ein. Magisch an den Back-gazern sind auch die wunderbaren Kostüme, die sich ebenfalls mit jedem Blick zu verändern scheinen. Auf einer Leinwand über dem alten Hallenbad lässt sich laufend das Gesagte entweder auf Englisch oder Deutsch mitlesen. Wohin wandert der Blick? Zu der Person, die gerade ihre persönlichen Erfahrungen teilt, oder zu der Leinwand, die diese Erfahrungen mit mehr Distanz erzählt?
«Ich bin eine Gefahr für dich.»
Gazing back erzählt stellvertretend Geschichten von Menschen, die ständig dem Starren der Dominanzgesellschaft oder dem male gaze ausgeliefert sind. Ein Bullshit-Game startet zum Beispiel im Bus, wenn ein Rock zu tragen aus der zu Form fallen bedeutet. Das Sprengen dieser Form scheint für manche Mitpassagiere als Gefahr gewertet zu werden. Ein befreiendes Abstreifen ihrer fremden Blicke ist nur durch das Aussteigen aus dem Bus möglich. Auch die Videosequenzen der Performance unterstreichen das Ausbrechen aus Formen und zeigen Momente, in denen der durch Blicke zum Objekt gemachte Mensch wieder zum Subjekt wird. Auf eine Schilderung von Catcalling folgen so freie, unkontrollierte und selbstermächtigte Bewegungen mit einer Sense in der Natur.
Die Performance fühlt Diskursen der heutigen Zeit auf den Zahn und thematisiert dabei auch verschiedene Feminismen. Dabei verkörpert Gazing back auch eine Art Bildungsauftrag. Ein papierner Glossar, der zu Beginn an der Kasse verteilt wird, hilft nicht so diskursnahen Betrachter:innen jedoch auf die Sprünge. Die einstündige Performance regt zum Denken an, zum Reflektieren über Macht und Prägung, verschiedene Wellen des Feminismus, Genderstereotype, die Beziehung von Betrachter:in und Betrachteten. Die Performance vom Kollektiv Dionysos zeigt so auf berührende und wütende Weise, dass die Macht in jedem Augenaufschlag liegt.
Co-Leitung: Catherine Claessen, Lina Künzi, Nikita Purpu Darsteller:innen: Bertilla Spinas, Fayrouz Gabriel, Elem Miss Activ, Pax/Raphi Holzer, Yèinou
Fotos: Johanna Bommer