Kultur Kunst Magazin

Ein Hommage an die Videokunst: Die Ausstellungstrilogie Bewegte Bilder, David Claerbout und Keren Cytter im Kunst Museum Winterthur.4 min read

10. November 2020 3 min read

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Ein Hommage an die Videokunst: Die Ausstellungstrilogie Bewegte Bilder, David Claerbout und Keren Cytter im Kunst Museum Winterthur.4 min read

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Seit dem 12. September werden im Erweiterungsbau des Winterthurer Kunstmuseums beim Stadthaus eine Breite von Videoarbeiten ausgestellt. Neben Pionierarbeiten aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ist das zeitgenössische Schaffen von Keren Cytter (*1977 Tel Aviv, Israel) und David Claerbout (*1969 Kortrijk, Belgien) zu sehen.

Unter dem Titel Bewegte Bilder werden die Besucher*innen weithin chronologisch mit prominenten Namen der Videokunst vertraut gemacht. Von Lawrence Weiner über Bill Viola bis Sylvie Fleury und Mona Hatoum sind in Winterthur Exponate von internationalen Videokunstschaffenden ausgestellt, die als Wegbereiterinnen und Wegbereiter der gegenwärtigen Kunstproduktion gelten und somit eine Art Einstieg in das jüngere Schaffen von Keren Cytter und David Calerbout bieten.

Der erste Raum widmet sich den Chronistinnen und Chronisten der späten sechziger und frühen siebziger Jahren, deren Experimente mit dem Medium Video erstmals erfolgreich rezipiert wurden und sich als eigenständige Kunstform etablierten. Dazu gehören vier in Winterthur gezeigte Arbeiten von Bruce Naumann, in denen der Künstler das Verhältnis seines Körpers zum Raum analysiert. Eine stimmige Ergänzung dazu sind die provokativen und sozialkritischen Umsetzungen von Valie Export, Joan Jonas und Carolee Schneeman. Der objektivierte und entfremdete Körper Naumans steht so dem emanzipierten und exponierten von Valie Export gegenüber. Dazwischen zeigt John Baldessari seine Arbeit John Baldessari Sings LeWitt aus dem Jahre 1972, in der der Künstler fünfunddreissig von LeWitt verfasste Statements zur modernen Kunst vorsingt. Sätze wie „The conventions of art are altered by works of art“ hallen durch den Raum. Die hier eröffneten Themen Feminismus, Körperlichkeit und Sozialkritik finden sich auch in den weiteren Sälen wieder.

Mit fünf ausgestellten Exponaten bildet die Künstlerin Mona Hatoum (1952 Beirut, Libanon) einen Schwerpunkt der Ausstellung. Ihre Arbeiten aus den achtziger Jahren sind kritische Zeitzeugnisse des zwischen 1975 und 1990 wütenden Bürgerkrieges in Libanon. Hatoum schildert die Hoffnungslosigkeit des Konflikts und gewährt den Betrachtenden auf sinnlich und poetische Art Einblick in ihre persönliche Situation. In Changing Parts aus dem Jahre 1984 werden anfänglich zur Musik Bachs Aufnahmen von Hatoums Beiruter Elternhaus gezeigt. Auf die sinnliche Szenerie folgt eine Situation des Unbehagens: Ein scheinbar eingesperrter Körper windet sich in Agonie. Die Verzweiflung und Trauer, die Krieg und Exil für Mona Hatoum bedeuten, thematisiert die Künstlerin auch vier Jahre später in Measures of Distance. Im Zentrum steht hier die Korrespondenz mit ihrer Mutter im libanesischen Heimatland während ihres Exils. Es ist eine intime, melancholische und zugleich poetische Arbeit, die die Auseinandersetzung mit der Identität als arabischer Frau und mit der Mutter als nicht sexualisierbarem Wesen beinhaltet. Im selben Ausstellungsraum emanzipiert sich Pipilotti Rist und tanzt freizügig in I’m Not The Girl Who Misses Much (1986).

Ergänzt werden die Arbeiten der ersten Generation der Videokunst durch diejenigen der zeitgenössischen Akteure Keren Cytter und David Claerbout. So fügen sich die Exponate zu einer kleinen Geschichte des Mediums und vermitteln zugleich ein zeitgeschichtliches Panorama. Politisch aufgeladen reichen die Themen vom Vietnamkrieg (Carolee Schneemann) bis hin zu Claerbouts hochaktueller Arbeit the ‚confetti‘ piece (2015-18), die an den US Wahlkampf denken lässt. Und während die Feministinnen Valie Export und Pipilotti Rist mit Stereotypen provokativ brechen, zeigt Cytter diese in widersprüchlichen Beziehungen auf und weckt Misstrauen. Ein vielschichtig apokalyptisches Ende der Ausstellung bildet die Videoinstallation Wildfire (meditation on fire) die Claerbout dieses Jahr realisierte und die in Winterthur erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wird. Auf einem monumentalen Screen ist eine Landschaft zu sehen, in der Feuer und Eis episch koexistieren. Die Inspiration dazu, so Claerbout, fand sich im Bildrepertoire des altniederländischen Malers Hans Memling sowie in der christlichen Apokalypse-Ikonographie. Apokalypse ist Offenbarung und Vision, heisst also Sehen und Ausblick. Knapp 24 Stunden bräuchte man, um sich alle gezeigten Ausstellungsexponate in voller Länge anzuschauen. Ein guter Grund also, die faszinierende Ausstellung mehr als einmal zu besuchen – wenn nicht diesen Herbst, so vielleicht später. Denn mit den Videoarbeiten der Bewegten Bilder präsentiert Konrad Bitterli, der Kurator der Ausstellung und Direktor des Museums, einen neuen Schwerpunkt der Winterthurer Sammlung. Ermöglicht wurde dies dank einer Schenkung des Industriellen Heinz E. Toggenburger sowie durch jüngere Ankäufe des Museums.

Die Ausstellungstrilogie Bewegte Bilder, David Claerbout und Keren Cytter im Kunst Museum Winterthur ist noch bis zum 15. 11. zu sehen.

 

Text: Eleonora Maria Bitterli

Bild: Keren Cytter, Something Happend, 2007 (Videostill), Galerie Nagel Draxler und Pilar Corrias Gallery
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